Retro der Woche 15/2018

Zwillinge sind bei Retros immer noch recht selten. Einen hübschen, schon beinahe 30 Jahre alten, möchte ich euch heute vorstellen, der auch noch eine sehr originelle Zwillingsbildung enthält.

Leonid Borodatow & Andrej Frolkin
Die Schwalbe 1998, 1. ehrende Erwähnung
Woher kam sBd3? b) ohne sBd3! (10+10/9)

 

Sachbearbeiter Günter Lauinger hatte in der Anmoderation dieser Aufgabe explizit darauf hingewiesen, dass die Zwillingsbildung keinen Druckfehler enthalte … Aber beginnen wir mit a):

Schnell ist zu sehen, dass alle schwarzen fehlenden Steine durch die weiße Bauernformation erklärt sind: wBe3 kommt natürlich von d2, und wBf7 hat sich von a2 dorthin durchgefressen. Ihr erinnert euch an die Retros der Woche 11/2018 und 13/2018? Richtig, hier haben wir eine frühe Darstellung des Volet 50 Themas! Das ist übrigens auch ein Grund, weshalb ich diese Aufgabe herausgesucht habe.

Auflösen lässt sich die Stellung a) nur, wenn Weiß König und Turm ganz in den Südosten zieht, dann auf f1 ein Schachschutz errichtet werden kann, sodass sKf1-e2 zurückgenommen werden kann. Allerdings drohen Schwarz darüber die eigenen Rückzüge auszugehen; beide Seiten müssen also gemeinsam das drohende Retropatt vermeiden. Schwarz kann auch noch nicht seinen Bauern auf e6 zurückspielen: Egal ob er das entschlagend oder nicht täte, würde er einen eigenen Läufer aussperren, der dann zu Hause geschlagen worden wäre — das aber scheidet, wie wir gesehen haben, wegen der Schlagbilanz aus.

Daher müssen alle schwarzen Rückzüge durch sBd3 erfolgen, und er muss auf e4 (oder f5) einen Springer entschlagen, der dann nach g3 zurückziehen kann, um den Schachschutz geben zu können. Und wegen der Zugnot muss Weiß mit der Rücknahme beginnen; das geht dann z.B. (die Entschläge sind nicht eindeutig) so:

R a) 1.Kg1-f1 e4xDd3 2.Da6-d3+ f5xSe4 3.Sg3-e4+ g6xTf5 4.Kh1-g1 h7xSg6 5.Tg1-e1 Ke1-d2 6.Sf1-g3+ usw.

In b) fehlt natürlich der schwarze Solist das a)-Lösung. Die Öffnung des Käfigs muss aber prinzipiell identisch erfolgen, nur dass nun Schwarz unmittelbar vor dem Retropatt steht. Dafür kann nun [Lf8] ausgesperrt werden, denn Weiß hat ja nun einen Schlag mehr frei, der für diesen Läufer verwendet werden kann. Der schwarze König muss nun den Schachschutz selbst entschlagen, und dann taucht auch noch unser schwarzer Themabauer auf d3 auf, denn durch das Aussperren des sLf8 wird nun sLc1 zum Umwandlungsläufer, der von der d-Linie schlagen musste. Mit dem zusätzlich erforderlichen Schlag des [Lf1] auf seinem Ursprungsfeld bleiben Schwarz anschließend noch drei Schläge. Die muss [Bh7] wieder ausgeführt haben, der nur auf e3 entschlagen werden kann. Und damit wissen wir auch, woher nun sBd3 kam: Schlagfrei von d7!

Das lässt sich etwa wie folgt zurückspielen:

R b) 1.– e7-e6 2.e6xSf7 S~ 3.Kg1-f1, und weiter Kh1-g1 Tg1-e1 Ke1xSd2 Sf1-s2+ Td2-c2 d5xe6 Td4-d2 c4xd5 Kd2-e1 Sg3-f1+ sK raus, davor d2xLc1=L d3-d2! d2xBe3 f4xDe3 D>d1 O-O und sBd7>d3 usw.

Abwechslungsreiches Spiel, wobei die raffinierte und witzige Fragestellung in der Forderung direkt auf den Inhalt hinweist, ohne schon allzu viel zu verraten.

Das Stück belegte übrigens im Jahresinformalturnier quasi den zweiten Platz, da Richter René J. Millour nur einen Preis vergab: an die „Weltrekord-Beweispartie“ in 115 Einzelzügen von Dmitri Pronkin und Andrej Frolkin (PDB P0000136).

3 thoughts on “Retro der Woche 15/2018

  1. Es gibt eine noch eine viel frühere Darstellung des Volet-50-Themas: Schon 1913 wurde das von Dawson gezeigt (P0002274), in der ersten korrekten nicht-dualistischen Beweispartie überhaupt! Ich habe das Problem am vergangenen Freitag bei der 100-Jahr-Feier der BCPS in Derby im Rahmen meines Vortrags “Some Dawson-retros from the age of innocence” vorgestellt, deshalb ist es mir noch frisch in Erinnerung.

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