Retro der Woche 48/2017

„Ein Problem, das man wegen seiner Originalität immer wieder zeigen wird.“ meinte Preisrichter Thierry Le Gleuher zu der heutigen Aufgabe, und Meisterlöser Silvio Baier kommentierte damals: „Gleich der nächste Höhepunkt. Nur mit einem deutlichen Hinweis von Roberto habe ich das geknackt.“ (Mit dem vorangehenden Höhepunkt meinte er übrigens unser Retro der Woche 48/2013, das direkt davor veröffentlicht wurde.)

Damit sollte ich euch neugierig gemacht haben auf das heutige Stück?

Jorge Joaquin Lois & Roberto Osorio
Die Schwalbe 2010, 4. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 21 Zügen (12+15)

 

Der einzige fehlende schwarze Stein wurde auf c3 geschlagen. Da nur [Bh7] fehlt, muss der sich umgewandelt haben, um dann entweder selbst auf c3 geschlagen worden zu sein oder das dortige Opfer zu ersetzen.

Besonders auffällig am Diagramm ist aber zunächst nicht so sehr diese recht offensichtliche Umwandlung, sondern sind die beiden weißen Türme im Nordwesten mitten im schwarzen Lager. Da müssen wir sicherlich genauer hinschauen, wie die dorthin gelangen konnten?

Das Zählen der sichtbaren schwarzen Züge bringt im ersten Moment nicht viel, allerdings müssen wir natürlich berücksichtigen, dass Schwarz umgewandelt und dann noch auf c3 geopfert haben muss. Und dabei gilt es auch zu bedenken, welche weißen Steine im Diagramm fehlen: [Dd1], [Bf2], [Bh2] sowie ein Springer.

Versuchen wir nun, die weißen Züge zu zählen; dabei lassen wir zunächst die beiden Türme außen vor. Wir sehen also 1+0+ — +1+4+4=10. Dabei haben wir berücksichtigt, dass [Sb1] einen Zug schneller nach b7 gelangen kann als [Sg1].

Damit bleiben elf Züge bei Weiß übrig, um einerseits die Türme nach Nordwesten zu bringen als auch bei Bedarf beim Abräumen eigener Steine zu helfen. Dass dies erforderlich ist, können wir uns schnell klar machen: [Bh7] hat entweder via h2 oder weiter westlich umgewandelt. Dazu muss entweder der [Bh2] selbst geschlagen haben, oder Schwarz muss auf der g-Linie geschlagen haben, um dann selbst die h-Linie freizuschlagen. Beides erfordert mindestens einen weißen zusätzlichen Zug.

Somit haben wir noch maximal zehn Turm-Züge frei. Und diese Anzahl brauchen wir auch mindestens (also genau…): Schneller als Th1-h6-a6-a8-b/c8 (4) sowie Ta1-a3-x3-x6-a6-a8-c/b8 (6) geht es nicht. Das setzt natürlich voraus, dass vor dem ersten Ta6 bereits [Ba7] auf a5 steht. Und dann muss Schwarz natürlich dafür sorgen, dass die Türme dann freie Zugbahnen haben, dass speziell die Türme jeweils in einem Zug von a6 nach a8 kommen. Auch für den Weg von a8 nach c8 ist nur ein Zug Zeit. Ebenso kann Weiß nicht daran denken, via b7 zu ziehen: Das kostet zu viel Zeit.

Dabei ist ein sehr genaues Timing und echte Kooperation zwischen Weiß und Schwarz im Nordwesten erforderlich, aber auch die „Eröffnung“, die Vorbereitung, bis das Rangieren im Nordwesten losgehen kann, ist sehr fein abgestimmt.

Auch wenn nun die wesentliche Thematik dar Aufgabe klar ist, wir auch über [Bh7] schon sehr viel wissen, ist die Lösung immer noch nicht leicht zu finden. Trotzdem solltet ihr selbst wenigstens einige Lösungsversuche vornehmen, um gerade auch die Eröffnung voll würdigen zu können.

1.e4 h5 2.Dg4 hxg4 3.a4 g3 4.Ta3 gxh2 5.Tb3 hxg1=L 6.Th6 a5 7.Ta6 Sc6 8.Tbb6 Tb8 9.Lb5 Lxf2+ 10.Kf1 Ld4 11.Ta8 Lc3 12.Tba6 b6 13.dxc3 Tb7 14.Sd2 Ta7 15.Sb3 Lb7 16.Tc8 Ta8 17.Sc5 Tb8 18.Ta8 La6 19.b3 Tb7 20.Tab8 Ta7 21.Sb7 Ta8 .

Wir sehen hier also einen zweifachen schlagfreien Rundlauf des schwarzen Turms, um die weißen Kollegen durchzulassen. Und da stecken noch viele andere Feinheiten (z.B. 15.– Lb7, 18.– La6) drin; auch ist die Reihenfolge aller Züge sehr subtil begründet — geht dem doch beim zweiten Nachspielen der Lösung einmal ganz bewusst nach!

3 thoughts on “Retro der Woche 48/2017

  1. Ebenso wie Henrik und Silvio bin auch ich von diesem Problem begeistert. Und obwohl es nur eine 4. ehrende Erwähnung erhalten hat, habe ich es für meine Problemist-Kolumne über “Selected Proof Games and Retros” (im September 2014) ausgewählt, als ich dort über den Retro-Preisbericht von Die Schwalbe 2010 geschrieben habe. (Der 1. Preis von Gerd Wilts war natürlich auch dabei!)

  2. Man vergleiche dieses Problem mit der bekannten P1009423. Auch dort gibt es einen doppelten schlagfreien Rundlauf eines Turmes und die gleiche Bewegung des Läufers (h6-g7-f8) zum Durchlassen von schwarzen Schwerfiguren. Dort wird das Ganze mit einem (offensichtlichen) Umwandlungsturm dargestellt, während die Aufgabe von Lois/Osorio mit dem Standardmaterial (und mit weniger Zügen) auskommt, was wohl auch so intendiert war. Über die jeweilige Auszeichnungshöhe möchte ich mich dieses Mal in Schweigen hüllen.

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