Retro der Woche 50/2015

Heute möchte ich euch den ersten Preis des The Problemist Retro-Turniers 1989-1990 zeigen; den dritten und zweiten Preis kennt ihr ja schon aus den letzten beiden Beiträgen dieser Rubrik.

Heute sehen wir eine der seltenen Beweispartien mit mehr als einer Lösung. Ein Grund für die Seltenheit ist sicher die schwierige Konstruktion: Kann man bei einem Hilfsmatt, einer direkten Aufgabe meist noch zur Not irgendeinen „Cookstopper“ aufstellen, ist dies bei Retros ungleich schwerer, da ja für jeden einzelnen Stein Rechenschaft abgelegt werden muss — ein Grund, weshalb Wolfgang Dittmann beispielsweise in Zweifel zog, dass es in Retros (sieht man von einigen Hilfsrückzügern der Art „Weiß nimmt einen Zug zurück, dann matt in zwei Zügen“ ab) überhaupt Nachtwächter geben könne.

Peter Wong
The Problemist 1990, 1. Preis (1998-1990)
Beweispartie in 17 Zügen, zwei Lösungen (13+14)

 

Bei Weiß fehlen, um mit der Inventur zu beginnen, [Dd1], [Bh2] sowie ein weiterer Bauer (das muss nicht unbedingt [Bc2] gewesen sein, da der auch geschlagen haben könnte). Bei Schwarz fehlen [Dd8] sowie ein Turm. Nur ein einziger fehlender weißer Stein ist durch die Bauernstruktur erklärt.

Zählen wir nun die sichtbaren Züge bei Weiß: 4+0+2+3+3+2=14; bei Schwarz: 2+0+2+2+2+5=13. Aber für das Zählen sollte man auch bei den vielen Königszügen mögliche Rochaden im Auge behalten.

Bei Weiß macht das bwzüglich der Anzahl der Züge nichts aus: Im Falle einer Rochade benötigen wir einen Königszug mehr, sparen dafür aber einen Turmzug ein, so dass die Summe unverändert bleibt. Anders bei Schwarz: Da benötigt der König auch bei einer Rochade zwei Züge nach g7, aber sTf6 könnte durch die Rochade in einem Zug auf sein Zielfeld gelangt sein, sodass Schwarz auch mit 12 sichtbaren Zügen auskommen konnte.

Hilfreich sind nun die Überlegungen, wie die fehlenden Steine verschwunden sind: Im ersten Moment könnte man glauben, [Bc2] habe auf b6 schlagen können und sei dort auch gestorben. Dort hätte er [Ta8] nach zwei Zügen schlagen müssen, für [Dd1] und [Bh2] blieben dann keine Züge mehr, und sie hätten in drei Zügen beseitigt werden müssen — das ist unmöglich.

Also starb auf b6 [Dd1] — am besten, nachdem sie [sTa8] beseitigt hat. Das kann nur auf a7 oder a6 passiert sein, so dass Schwarz einen Zug für [Ta8] verbraucht hat, sodass noch vier Züge übrig bleiben, bei beiden fehlenden Bauern zu Hause zu beseitigen. Dies kann am „Zug-sparsamsten“ passieren durch sDc7xc2-c7xh2 bzw. sDc7xh2-c7xc2. Da Weiß nun keine Züge mehr frei hat, muss [Dd7] also auf c2 oder h2 geschlagen worden sein — durch einen Stein, der dort sowieso vorbeizieht.

Das kann nur [Ke1] sein nach kurzer bzw. langer Rochade! Und nun liegt die Idee nicht allzu fern, an beide Rochaden in beiden Lösungen zu denken… Damit sollte das finden der Lösungen nicht mehr allzu schwer sein.

1.e4 a5 2.De2 Ta6 3.Dxa6 b5 4.Db6 cxb6 5.Le2 Dc7 6.Lg4 Dxc2 7.Sf3 Dc7 8.0-0 Dxh2+ 9.Kxh2 f5 10.Kg3 Sf6 11.Kf4 g5+ 12.Ke5 Lg7 13.d4 0-0 14.Sbd2 Lh8 15.Sb3 Kg7 16.Ld2 Se8 17.Tad1 Tf6 und 1.d4 a5 2.Dd3 Ta6 3.Dxa6 b5 4.Db6 cxb6 5.Sd2 Dc7 6.Sb3 Dxh2 7.Ld2 Dc7 8.0-0-0 Dxc2+ 9.Kxc2 g5 10.Kd3 Lg7 11.Ke4 Sf6+ 12.Ke5 0-0 13.e4 Lh8 14.Le2 Kg7 15.Lg4 Se8 16.Sf3 f5 17.Thf1 Tf6.

Beispielsweise in Hilfsmatts empfindet man in mehreren Phasen wiederholte Züge meist als störend. Sie lassen sich aber in Beweispartien kuam vermeiden, denn alle Steine müssen ja aus der Partieausgangsstellung ihre Position im Diagramm erreichen. So bleiben Zugwiederholungen nicht aus: Bei Schwarz sind alle Züge bereits „durch Abzählen“ bereits festgelegt. Hier haben wir in den beiden Lösungen also „nur“ verschiedenen Permutationen der Züge.

Bei Weiß hingegen ist die Situation ähnlich, aber durch die Notwendigkeit, [Dd8] einmal auf c2 und einmal auf h2 zu schlagen, ergeben sich unterschiedliche Rochaden, damit unterschiedliche Königswege, und auch der Turmzug ist natürlich in beiden Lösungen unterschiedlich. Mit unterschiedlichen Königswegen arbeitete schon die erste mir bekannte Beweispartie mit mehr als einer Lösung, siehe P0002266 von Hans Gruber.

Jedenfalls eine klasse Idee, eine Beweispartie mit zwei Lösungen, die sich durch die Rochaden unterscheiden, zu bauen!

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