Retro der Woche 49/2014

Wenn ein solcher Könner wie Silvio Baier einen offensichtlichen Umwandlungsstein im Diagramm einer Beweispartie stehen lässt, wenn dann dieses Stück auch noch die höchste Auszeichnung in einem bedeutenden Turnier gewinnt, dann muss diese Umwandlungsdame entweder thematisch sein — oder der Inhalt muss so originell sein, dass der Preisrichter sie deswegen akzeptiert.

Wenn ihr das Stück noch nicht kennt, dann ratet einmal, was nun der Grund ist?

Silvio Baier
FIDE World Cup 2011, 1. Preis
Beweispartie in 25,0 Zügen (10+14)

 

Bei Weiß sieht die Stellung sehr einfach aus: Home Base, also alle weißen Steine, die noch auf dem Brett zu finden sind, stehen auf ihren Standfeldern der Partieausgangsstellung.

Beginnen wir also mit dem Zählen der minimalen Züge bei Schwarz: Egal, welche der beiden schwarzen Damen Original oder Umwandlungsstein ist, bedurfte es mindestens dreier Damenzüge: entweder h1-h3 und d8-d6-h2 oder g1/h1-h2 und d8-d7-h3. Die Züge zur Umwandlung müssen wir nun den Bauernzügen zuschlagen. Damit haben wir offensichtlich 1+3+4+3+3+10=24.

Damit ist noch ein schwarzer Zug offen.

Stimmt das? Nein, denn die minimalen Züge des [Th8] nach e5 (2) und des [Lf8] nach g5 sind nicht beide jeweils zwei: um [Th8] in zwei Zügen nach e5 zu bringen, muss der [Bh7] bereits bis h4 vorgerückt sein, und damit kommt der sBh6 von g7, so dass [Lf8] nicht in zwei, sondern nur in drei Zügen nach g5 gelangen konnte. Kam andererseits [Lf8] in zwei Zügen nach g5, so müsste dazu die Diagonale f8-h6 komplett frei sein. Das geht aber nur nach g5, dann allerdings muss der [Bh7] noch auf seinem Platz stehen und erst später nach h6 ziehen. Das aber bedeutet, wie wir schon gesehen haben, dass [Th8] nicht in zwei Zügen nach e5 gelangen konnte.

Damit haben also sLg5 und sTg5 zusammen mindestens fünf Mal gezogen — und damit genau fünf Mal gezogen, da dies genau 25 schwarze Züge ergibt.

Nun wissen wir auch schon, dass die [Bb7] und [Bc7] zu Hause geschlagen worden sind: Sie hatten ja keine Zeit mehr zu ziehen. Auch sehen wir, dass deswegen die fehlenden weißen Bauern am Damenflügel nicht als Bauern geschlagen werden konnten: Kein schwarzer Zug endete auf der a-und der d-Linie vor den schwarzen Bauern, kein schwarzer Zug endete auf der b- oder c-Linie.

Damit ist auch klar, was mit diesen Bauern geschah: a2-a6xb7-b8=X und d2-d6xc7-c8=Y, ihre Kollegen von der b- und der c-Linie wandelten schlagfrei um. Nun müssen die Umwandlungssteine noch in fünf Zügen komplett verschwinden. Auf ihren Umwandlungsfeldern konnten sie nicht geschlagen werden (auf b8 und c8 endete kein schwarzer Zug!), also müssen alle Umwandlungssteine mindestens einmal gezogen haben; für einen bleibt noch ein zweiter Zug übrig — und damit sind dann auch schon alle weißen Züge erklärt.

Daraus folgt auch schon diie Antwort unserer Frage nach der schwarzen UW-Dame: das muss Dh2 sein, die sich den [Bh2] und Sg1 schlagend dort umgewandelt hat, denn für irgendwelche Rückkehren etwa des [Th1] hat Weiß keine Zeit.

Betrachtet man nun die erforderlichen schwarzen Bauernschläge, so kann nur fxgxhxg1 und gxh erfolgt sein. Dabei sind dann [Bh2] und [Sg1] geschlagen worden — und zwei Umwandlungssteine. Die müssen beide auf schwarzen Feldern geschlagen worden sein, da die sDh3 schon sehr früh nach h3 ziehen musste, damit [Lc8] das Umwandlungsfeld frei machen konnte. Damit wissen wir auch schon, dass auf b8 also weiße Läufer entstanden sind, denn c8 und d8 müssen zu diesem Zeitpunkt schon frei sein und für die Parade eines Schachgebots hat Schwarz keine Zeit.

Und die beiden Umwandlungssteine auf c8? Na, das findet ihr nun sicherlich recht flott, wenn ihr die fehlenden Puzzlesteine zur Lösung noch zusammenstellt.

1.d4 h5 2.d5 h4 3.d6 Th5 4.dxc7 d5 5.a4 Dd7 6.a5 Dh3 7.a6 Lg4 8.axb7 a5 9.c8=L Ta6 10.Le6 Txe6 11.b4 Sa6 12.b8=L f5 13.Lg3 f4 14.b5 fxg3 15.b6 gxh2 16.b7 hxg1=D 17.b8=L Dgh2 18.Lbf4 The5 19.Lh6 gxh6 20.c4 Lg7 21.c5 Lf6 22.c6 Lg5 23.c7 Sf6 24.c8=L Kd8 25.Ld7 Sxd7.

Also vier einheitliche Umwandlungen bei Weiß — aufgeteilt in zwei „normale“ Ceriani-Frolkin-Umwandlungen und zwei Prentos-Umwandlungen, also Ceriani-Frolkin-Umwandlungen, wobei der Schlag durch einen Offizier, nicht einen Bauern erfolgt.

Große Klasse und hochoriginell — und der Inhalt hat dann aus Sicht des Preisrichters den Umwandlungsstein im Diagramm gestattet

Nun die Herausforderung: Wer macht das mit vier Umwandlungen nicht eines Typs, sondern als Allumwandlung? (Diese Herausforderung findet sich übrigens in dem tollen Artikel A compilation of some fascinating open problems in the Proof Game genre von Nicolas Dupont, feenschach 207, Mai-Juni 2014, S.509 – 529)

2 thoughts on “Retro der Woche 49/2014

  1. Thomas hat richtig herausgearbeitet, dass die Linien a-d von Schwarz fast komplett nicht betreten werden (zumindest nicht vor den eigenden Bauern). Das ist vermutlich auch das Hindernis für die Komponisten. Bei 4 Umwandlungen braucht man schon 20 Züge und dann müssen die Umwandlungsfiguren mindestens noch einmal ziehen. Es ist gar nicht leicht, auf einer Bretthälfte so viele Züge zu finden. Die Läufer eignen sich am besten als Umwandlungssteine, weil sie in einem Zug von einer auf die andere Bretthälfte gelangen können. Andere einfarbige Darstellungen scheinen da noch schwieriger. Möglicherweise ist die zweifarbige Darstellung (normales Ceriani-Frolkin auf einer Seite und Prentos auf der anderen) einfacher. Im Dupont-50-JT gibt es eine Aufgabe von Roberto Osorio mit ss als Prentossteinen und LL als Ceriani-Frolkin-Steinen. Eine Allumwandlung scheint mir am ehesten hier möglich – etwa mit S und L als Prentos-Steinen (die bräuchten nur einen Zug) und auf der Gegenseite T und D als normale Ceriani-Frolkin-Steine. Wie auch immer – jede Darstellung dieser Themenkombination dürfte sehr bemerkenswert sein.

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