Retro der Woche 33/2014

Heute möchte ich euch eine „rätselhafte“ Beweispartie vorstellen, die sicherlich nicht ganz leicht zu lösen ist, die mir sehr gut gefällt wegen ihres Themas.

Wer die Aufgaben von Thierry ein wenig kennt, könnte vielleicht schon zumindest die Richtung des Inhaltes erraten? Und diese mögliche Vermutung wird ja noch durch die Diagrammposition verstärkt: Es könnte irgend etwas mit Rochade zu tun haben?!

Thierry Le Gleuher
British Chess Magazine 1993, 2. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 24 Zügen (15+15)

 

Zunächst einmal bietet die Stellung keine besonderen Anhaltspunkte: Besonders spektakulär sind die geschehenen Schlagfälle nicht, dass sie sofort einen Großteil der Lösung verraten: Der [wLc1] als einziger fehlender weißer Stein wurde auf f6 geschlagen, und somit bleibt für den einzigen fehlenden schwarzen Stein, den [sBc7] nur, dass er auf seiner Linie von einem weißen Offizier geschlagen wurde.

Nun sollten wir uns wie üblich mit der minimalen Zügezahl zumindest einer Partei beschäftigen:

Bei Weiß sieht man sofort, dass im Diagramm sehr viele Züge noch offen sind, die auch nicht durch Bauernumwandlungen erklärt werden können, also zählen wir einmal bei Schwarz. Dabei fällt sofort auf, dass [sSb8] gezogen haben muss: Anders kann [sTa8] sein Startfeld nicht verlassen haben. Also kann der schwarze König mit der langen Rochade am schnellsten nach a8 gekommen sein; berücksichtigen wir die also bei unserem Zählen: Dann haben wir mindestens 3+1+6+4+6 (siehe oben!)+3=23 Züge – ein schwarzer Zug ist also noch frei.

Der sollte rasch gefunden sein, wenn man sich den Nordosten des Bretts anschaut: [sDd8] kann nicht in einem Zug nach g5 gekommen sein, da sie mit dem schwarzen Turm oder Läufer kollidiert: Einer steht dem anderen im Weg.

Also muss die Dame über a5 gekommen sein; dann kann ein schwarzer Turm via c8-c5 (warum nicht via e8-e5?) für seine Dame gebahnt haben. Damit ist der fehlende schwarze Zug auch erklärt.

Nun entdecken wir auch, dass die sD ziemlich früh nach a5 hat ziehen müssen, um beispielsweise b6 zu erlauben, das für die Öffnung des schwarzen Damenflügels und die lange Rochade (die haben wir implizit nun auch schon nachgewiesen: Ohne Rochade braucht Schwarz einen Zug zu viel) erforderlich ist.

Dafür aber muss der [sBc7] ziemlich früh zu Hause (er hat keinen Zug mehr übrig!) geschlagen worden sein. Wenn wir nun herausfinden, wer diesen Schlag gemacht hat, haben wir schon einen Großteil der Lösung.

Natürlich versucht man das zuerst mit dem [wTh1], aber dann stellt man fest, dass das überraschenderweise nicht klappt, weil es dann Probleme gibt, rechtzeitig dem [sSg8] sein Plätzchen auf a2 frei zu machen. Also muss sein Kollege vom Damenflügel den frühen Schlag auf c7 durchführen – dann aber kommt er über a3 nicht mehr nach Hause!

Also muss er „hinten herum“ wieder Richtung erste Reihe marschieren – und nun könnte man endgültig eine Idee haben, was auf der ersten Reihe passiert ist?

1.a4 Sf6 2.Ta3 Sd5 3.Tc3 Sb4 4.Txc7 Sa2 5.Tc3 Da5 6.h4 b6 7.Tch3 La6 8.g3 Ld3 9.Lg2 Sa6 10.Ld5 OOO 11.Sf3 Kb8 12.OO Tc8 13.Th1 Tc3 14.Lc4 Ta3 15.b3 Ka8 16.Lb2 Sb8 17.Lf6 exf6 18.Dc1 Le7 19.Db2 Tc8 20.Dd4 Tc5 21.Sc3 Th5 22.Ta1 Dg5 23.Kf1 f5 24.Ke1 Lf6

Hier haben wir also eine weiße Antirochade (Rochade ist gespielt worden, aber die Rochadegrundstellung ist im Diagramm wieder zu sehen, die Rochade ist also quasi zurückgenommen worden) mit der Besonderheit, dass dadurch die beiden weißen Türme ihre Plätze getauscht haben. Eine klasse Aufgabe mit einem der Lieblings-Themen von Thierry und auch von mir, nämlich den verschiedenen Rochade-Paradoxa.

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