Retro der Woche 11/2021

Bei meinem Hinweis auf die Ausschreibung zum 9. FIDE World Cup war ich kurz auf die historische Entwicklung der Vorwärtsverteidigung im Verteidigungsrückzüger (VRZ) eingegangen. „Mit Vorwärtsverteidigung“, also der Möglichkeit, dass Schwarz nach der Rücknahme eines eigenen Zugs die Vorwärtsforderung selbst erfüllt, ist beim Typ Høeg von Anfang an Standard gewesen, beim Typ Proca hingegen ist/war „ohne Vorwärtsverteidigung“ Standard. Zumindest für den Typ Høeg ist dies eigentlich klar, wenn man berücksichtigt, dass Niels Høeg „Retraktorpartien“ vorsah: Wenn dabei nur eine Seite gewinnen könnte, wäre dies ziemlich langweilig …

In Wolfgang Dittmanns „Der Blick zurück“ kann man nachlesen, wie sich auch für den Typ Proca die Vorwärtsverteidigung mit der Zeit durchgesetzt hat. Eine interessante Nutzung dieser Idee zeigt die Aufgabe, die ich heute vorstellen möchte.

Joaquim Crusats & Andrej Frolkin
Orbit 2010
#1 vor 3 Zügen, VRZ Proca (12+8)

 

Dieses recht kurze Stück ist sicher nicht schwer zu lösen, zeigt aber eine sehr schöne „logische“ Struktur. Mit R: 1.Td1-f1 oder R 1.Td3-b3 & vor: 1.Td8# wären wir schon fertig, wenn nur das Feld e7 nicht zur Flucht für den schwarzen König dienen könnte. Das könnte Weiß nun selbst decken (R 1.Tf7-f1), aber das wäre viel zu langsam, sodass sich Schwarz problemlos verteidigen könnte, z.B. 1.— Kf8-e8, wonach Weiß erst einmal das Schach aufheben müsste.

Weiß muss also zu schwereren Geschützen greifen.

Was wäre denn, wenn Weiß dem Schwarzen bei der Unzugänglichmachung von e7 keine Zeit ließe? Dann müsste das doch klappen? Also R 1.f5xBe5ep e7-e5 2.Td3-b3 & vor: 1.Td8# (durch die Öffnung der Diagonale a2-g8 kompensiert Weiß den Deckungsverlust von f7 durch den ep-Schlag) ist eine Kurzlösung??

Nein, denn hier schlägt Schwarz mit Vorwärtsverteidigung zurück: Nach der Rücknahme von e7-e5 setzt er mit 0-0# selbst Matt! Diese Möglichkeit muss Weiß nun also ausschalten.

Im direkten Vorwärtsproblem, z.B. einem #3, hat Weiß die Möglichkeit, schwarze Verteidigungen durch Führung weißer oder Lenkung schwarzer Figuren auszuschalten. Diese Möglichkeiten stehen Weiß – natürlich „rückwärts gedacht“ – auch im VRZ zur Verfügung; hinzu kommt allerdings die Möglichkeit der „Illegalisierung“: Eine mögliche schwarze Verteidigung kann auch dadurch ausgeschaltet werden, dass ihre Durchführung illegal würde.

Und das macht Weiß nun mit der schwarzen Rochade:

Lösung

R 1. g5xBh5ep h7-h5 2.f5xBe5ep e7-e5 3.Td3-b3 & vor: 1.Td8#

Nach den ersten zwei Rücknahmen ist die Schlagbilanz fast vollständig erklärt: Die schwarzen Bauern haben alle fehlenden weißen Steine geschlagen, darunter auch den fehlenden weißen Bauern. Der ist nicht eindeutig bestimmt, kann aber auch nicht direkt geschlagen sein worden:

  • [Bd2]: Dann hat Weiß für die weißen Bauern auf der a- und b-Linie alle sechs fehlenden schwarzen Steine schlagen müssen, [Bd2] hat also schlagfrei auf d8 umgewandelt, hat dabei auf d7 Schach geboten, sodass [Ke8] ziehen musste.
  • [Be2]: Dann reichen für die weißen Bauern auf der a- und b-Linie fünf Schläge, [Be2] musste und konnte einmal schlagen, hat also auf d8 oder f8 via d7 bzw. f7 Schach bietend umgewandelt.
  • [Bf2]: Dann ist wBf5 der [Be2], und [Bf2] konnte nur schlagfrei auf f8, also auf f7 Schach bietend, umwandeln.

In allen drei Fällen hat also [Ke8] bereits gezogen, hat Schwarz also das Rochaderecht verloren, sodass die Vorwärtsverteidigung 2.0-0# nicht möglich ist.

Sehr klar, sehr elegant!

3 thoughts on “Retro der Woche 11/2021

  1. Nice defensive retractor with forward defense and retrograde analysis.
    Most defensive retractors published these days use no forward defense (in some cases it is even forbidden by the stipulation) and no analysis.

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