Retro der Woche 19/2019

Nachdem ich hier vor vier Wochen den 2. Preis des Retro-Jahresturniers 2016 der Schwalbe (eine klassische Auflöse-Aufgabe) und in der letzten Woche den 1. Preis (eine Beweispartie) vorgestellt hatte, komme ich nun zum 4. Preis dieses Turniers, einem bemerkenswerten Verteidigungsrückzüger.

Günther Weeth & Werner Keym
Die Schwalbe 2016, Bernd Schwarzkopf zum 70. Geburtstag, 4. Preis
#1 vor 10 Zügen, VRZ Proca (14+8)

 

Hier möchte ich einmal mit Löserkommentaren beginnen, auch wenn ich damit schon einen Teil der Lösung verrate:

Klaus Wenda schrieb dazu: „Die Stellungsauflösung zeigt retroanalytischen Tiefgang und die Entschläge durch den wT sind geistreich begründet und erfordern genaue Analyse. Orthodoxe VRZ dieses Kalibers werden auch in Zukunft eine interessante Bereicherung des Retro-Schachs bilden, ohne dass man auf Märchenbedingungen zurückgreifen müsste.“

Und Silvio Baier verrät uns, wie er das Lösen angegangen ist: „Ein VRZ ohne Märchenbedingung. In diesen Zeiten eher ungewöhnlich. Aus Lösersicht probiert man sofort R 1.g3-g4 und schaut dann, was Sache ist. Die wSS wurden auf d2 und g1 geschlagen. Nun muss man den Hauptplan zurück h2:Sg1=L Sf3-g1 vor 1.L:d2 erkennen. Den Rückzug h2:Sg1=L zu erzwingen ist ganz und gar nicht leicht und erfordert eine Retropattidee mit einem angedrohten Käfig für den nicht auf dem Brett befindlichen sTa8. Sehr gut und sehr schwer zu lösen.“

Damit haben wir schon die Idee, wie Weiß das Matt erzwingen will: Kann er sich in eine Retropatt-Situation manövrieren, MUSS Schwarz, da ja Legalität unbedingte Voraussetzung für das Rückspiel ist, ihn aus dieser Kalamität befreien, indem er einen weißen beweglichen Stein entschlägt.

Dieser kann nur ein Springer auf g1 sein (bei Weiß fehlen genau zwei Springer), der dann Sf3-g1 zurücknehmen kann, sodass Weiß dann vorwärts mittels 1.Lxd2 mattsetzen kann.

„Irgendwie“ muss also wTa5 so manövrieren, dass er zugunfähig wird, denn andere Züge kann Weiß nicht zurücknehmen: hxg3 bzw. e2-e3 würden sLg1 bzw. [Lf1] illegal aussperren.

Das geht nun ganz trickreich, wie die Autoren selbst ausführlich erläutert haben:

Lösung
R 1.g3-g4 (Damit wird der sL zur eingesperrten Umwandlungsfigur,
entstanden aus Bh2:Sg1=L. Die Rücknahme von sBh2:Sg1=L sowie wSf3-g1 und 1.L:d2# ist das Ziel von Weiß.) 1.– Lg1-h2 (Der sL pendelt nun zwischen g1 und h2.) 2.Tg5-a5 3.Tg7-g5 4.Tg8:Bg7 (Damit wird der mögliche Schlagfall wBh2:Bg3 ausgeschlossen.) 5.Tc8-g8 6.Ta8:Lc8 7.Ta4-a8 Lg1-h2 8.Ta3:Ba4 Zugzwang, es droht weißes Retropatt. 8.– a5-a4 9.Ta4:Da3! (nicht 9.Ta4:Ta3? illegale Stellung), erneut Zugzwang, und jetzt ist 9.– Bh2:Sg1=L erzwungen (9.– a7/a6-a5? ist illegal wegen der Aussperrung des sTa, der als Schlagopfer auf g3 benötigt wird.) 10.Sf3-g1 & vor 1.L:d2#.
Weitere Stellungsauflösung: 10.– h3-h2 und später wBh2:Tg3! und der sTg3 gelangt nach a8, worauf sBa7-a5 folgt und der Käfig im SW sich öffnen lässt.
[Weiter z.B. wTa6-a4, sD–a3, wBa3:Lb4, sL–b4, sS–a2, wBa2-a3, sK–c3, sS–d1, wLe2–c2, wTd1-c1, sTc2-b2, wBb2-b3, sTh8–c2, wTc1–a6, wBc2-c4, sBc3:Sd2 usw. Die Schlagfälle im Lösungsverlauf sind eindeutig: sDa3, sLc8, sBa4 und sBg7 durch den wT und wSg1durch den sBh. Auch die Schlagfälle der Figuren im weiteren Rückspiel sind eindeutig: wBa3:Lb4, wBh2:Tg3, sBc3:Sd2. Der sBe und der sBf wurden irgendwo auf der e- bzw. f-Linie geschlagen.]

Nun gibt es noch einige Fehlversuche, die ihr natürlich auch selbst widerlegen könnt, bevor ihr euch die Autorenlangaben anschaut:

Fehlversuche
A) R 1.Te5-a5? Lf4-h2! (1.– Lg3-h2? 2.a3:Bb4 Lh4-g3 3.Tg5-e5 Lg3-h4 4.Te5:Bg5 5.Td5:Be5 6.Tc5:Td5 & vor 1.c4:Td5#) 2.g3-g4 Lg5-f4 3.Te7-e5 Lf6-g5 4.Te5:Be7 Lg7-f6 5.a3:Bb4 Lf6-g7 6.Td5-e5/Td5:Te5 (6.Td5:Be5!? nebst 7.Tc5:Dd5 & vor 1.c4:Dd5# ist illegal mangels weißen Schlagopfers) Ld4-f6/Te4-e5 7.Tc5:Dd5 & vor 1.c4:Dd5 kein Matt.
B) R 2.Tc5-a5/Ta8-a5? 3.Tc8-c5/a8 4.Ta8:Lc8 5.Ta4-a8 Lg1-h2 6.Ta3:Ba4 a5-a4 7.Ta4:Da3 a6/a7-a5!, denn der sTa wird als Schlagopfer auf g3 nicht benötigt (er wurde auf a7, a8 oder b8 geschlagen), an seine Stelle tritt der sBg (wBh2:Bg3). Hierin unterscheiden sich Fehlversuch und Lösung.
C) R 7.Ta5-a8? Lg1-h2 8.Ta3:Ba5 a6/a7-a5!, denn der sTa wird als Schlagopfer auf b4 oder g3 nicht benötigt, an seine Stelle tritt die sD.

Eine raffinierte Lösung, die im Nachhinein sehr klar erscheint, aber dennoch sicherlich schwer zu finden ist. Mir gefällt die Aufgabe sehr gut!

One thought on “Retro der Woche 19/2019

  1. Defensive retractors have been dominated by fairy conditions for a long time now. But this fine problem shows that there is still possibilities in the orthodox realm.

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