Retro der Woche 24/2018

Der hochrangige Stuttgarter Kriminalbeamte Josef Haas (28. Januar 1922 – November 2003) hatte eine besondere Vorliebe für Hilfsrückzüger. Dabei kooperieren, wenn mehrere Rückzüge gefordert sind, Schwarz und Weiß, um eine Stellung zu erreichen, in der die angegebene Vorwärts-Forderung realisiert werden kann.

Josef Haas
Mannheimer Morgen 1973
-1s & h#1 (9+8)

 

Hier nimmt also Schwarz einen Zug so zurück, dass er anschließend einen Hilfszug vorwärts spielt, nach dem Weiß Matt geben kann.

Hilfsrückzüger sind normalerweise nicht allzu schwer zu lösen, so wollt ihr es vielleicht selbst versuchen, bevor ihr weiterlest. Wenn ihr meint, gelöst zu haben, solltet ihr aber noch schauen, ob ihr nicht auf die Verführung hereingefallen seid?

Nicht immer sind Aufgaben dieses Typs retroanalytisch besonders tiefschürfend, jedoch bieten auch davon viele diese Stücke interessante strategische Inhalte, die auch einen nicht so Retro-Erfahrenen oder gar Retro-Begeisterten ansprechen können.

Hier springt eine Verführung direkt ins Auge, weil sie eine hübsche Bahnung zeigt:
R 1.Lb7xDh1 & v: 1.0-0-0 Dxb7#.

Dabei ist natürlich besonders elegant die Gegenläufigkeit der (Ent-)Schlagzüge: Lb7xDh1 und Dh1xLb7.

Aber wieso ist dies eine Verführung und nicht die Lösung? Dazu ist nur wenig Retroanalyse erforderlich um festzustellen, dass die schwarze Rochade nicht zulässig ist: Die sieben weißen Bauern im Diagramm haben sieben der fehlenden acht schwarzen Steine geschlagen. Damit steht nur der [Be2] noch als Umwandlungsbauer in die zweite Dame zur Verfügung, kann dann aber nur auf d8, e8 oder f8 umgewandelt haben – und damit kann das schwarze Rochaderecht nicht erhalten bleiben. Alternativ noch der [f2] zur Umwandlung zur Verfügung – dann aber müssen die anderen sieben Bauern bereits alle fehlenden schwarzen Steine geschlagen haben, sodass [f2] auf f8 umwandeln musste – auch damit ist die schwarze Rochade nicht mehr möglich.

Die Lösung funktioniert völlig anders, nämlich R 1.e4xBd3ep! & v: 1.0-0-0 Dc3#.

Der en passant-Entschlag räumt einerseits für die Dame die dritte Reihe und verstellt gleichzeitig alle vier (!) schwarzen Langschrittler, die ansonsten auf die Mattlinie c3-c8 schielen: Mehr geht im orthodoxen Retro nicht! Und wenn man die Verführung mit betrachtet, zeigt das Stück auch noch eine originelle Darstellung des Valadão-Tasks (Umwandlung, ep-Schlag und Rochade in einer Aufgabe).

Dieser häufig „leichte“ Typ von Hilfsrückzügern (wer kennt nicht etwa das Sunyer-Stück aus Chess Amateur 1923, wKh5, sKe8, -1(w+s) & h#1, das ohne eigentliche Retroanalyse auskommt) ist häufig auch für Partiespieler reizvoll – aber man sollte den Typ auch nicht unterschätzen; so hat Josef Haas auch sehr retroanalytisch komplexe Stücke dieser Art gebaut.

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