Retro der Woche 48/2016

Beim französischen Treffen der Problemschachfreunde jedes Jahr am Pfingstwochenende (oder mit anderen Worten: Eine gute Woche nach Andernach) steht auch immer ein Retro-Kompositionsturnier auf dem Programm.

Im Jahre 2009 war das Thema besonders interessant: Es waren Beweispartien gefordert, für die eine möglichst lange Folge von „letzten Zügen“ im Sinne einer klassischen Auflöse-Aufgabe eindeutig sein sollte. Der Anteil an eindeutigen letzten Zügen in der Beweispartie sollte möglichst hoch sein.

Schauen wir uns den ersten Preisträger an.

Michel Caillaud
Messigny2007, 1. Preis
Beweispartie in 16 Zügen. Letzte 12 Einzelzüge? (12+14)

 

Hier ist der Anteil nun 12/32, also 37,5%. Lässt sich der noch steigern?

Beginnen wir mit dem „letzte-Züge-Anteil“ – dann ist ja anschließend nur noch eine Beweispartie in 10 Zügen zu lösen.

Bei Weiß fehlen die beiden Türme und die beiden Springer, bei Schwarz die Läufer. Offensichtlich wurden die Läufer vom [Ba2] geschlagen, und wegen der unterschiedlichen Felderfarben ist auch klar, dass diese Schläge auf b3 und c5 erfolgten. [Bh2] kann nicht geschlagen haben.

Schwarz hat drei Springer; einer vom ihnen muss aus [Be7] auf h1 entstanden sein. Dies erfordert drei Schlagfälle, zusammen mit dem Schlag bxc6 sind alle fehlenden weißen Steine erklärt.

Weiß kann im Moment nur Bauernzüge zurücknehmen, und Schwarz muss aufpassen, dass Weiß nicht retropatt wird, wenn ihm die Züge ausgehen bzw. bei einem weiteren Bauern-Rückzug einer der Türme ausgesperrt bliebe.

Wegen des Schachgebots gegen den weißen König muss Schwarz mit der Rücknahme beginnen. Offensichtlich muss der Springer schnell entwandeln, damit am Königsflügel auch schnell der [Th1] wieder entstehen kann, sodass dort der Käfig geschlossen werden kann.

Der schnellste Weg des Sd3 zurück nach h1 ist Sd3-f4-h5-g3-h1, und durch diesen Weg sind dann auch die Rücknahmen der weißen (Bauern-)Züge determiniert, da sich Springer und h-Bauer auf h5 nicht in die Quere kommen dürfen.

Damit haben wir R 1.Sf4-d3+ b4xLc5 2. Sh5-f4 b3-b4 3.Sg3-h5 h5-h6 (3.– a2xLb3?? würde [Ta1] aussperren, ist also illegal) 4.Sh1-g3 h4-h5 5. h2-h1=S h3-h4 6.g3xTh2! Th1-h2 — so weit ist die Stellungsauflösung eindeutig. Ab nun könnte die Auflösung mit quasi beliebigen schwarzen Zügen weitergehen, da Weiß nun seiner Zugnot entledigt ist, da nun der Turm pendeln kann.

Aber wir haben ja nun eine Beweispartie in 10 Zügen vor uns, und da ist es dann nicht mehr beliebig, sondern muss es ja nun unter Zeitdruck eindeutig zurückgehen.

Wir sehen nun, dass auf c6 ein weißer Springer geschlagen werden musste: [Ta1] scheidet als Schlagobjekt dort aus, da ja bxc6 erst [Lc8] befreite. Der muss dann nach b3 gezogen haben, um dort geschlagen zu werden, was erst [Ta1] befreit.

Zählen wir nun die sichtbaren schwarzen Züge, so kommen wir auf 0+2+0+1+0+4=7 – hinzu kommen die drei Züge des Lc8 nach b3. Damit wissen wir, dass Schwarz e7-e5 gezogen hat, weil für e6 oder exf6 keine Zeit geblieben wäre. Damit sind die beiden weiteren fehlenden weißen Steine (Springer und Turm) auf f4 und g3 geschlagen worden.

Beide geschlagenen weißen Springer brauchen jeweils drei Züge zurück nach Hause. Mit den beiden Bauernzügen bleiben für [Ta1] nur noch zwei Züge übrig, sich zu opfern, also starb er auf f4.

Damit ist eigentlich alles klar:

1.Sf3 e5 2.Sd4 Lc5 3.Sc6 bxc6 4.Sc3 La6 5.Se4 Lc4 6.Sg3 Lb3 7.axb3 De7 8.Ta4 Df8 9.Tf4 exf4 10.h3 fxg3 , und wie es nun weitergeht, wissen wir ja schon von oben: 11.Th2 gxh2 12.h4 h1=S 13.h5 Sg3 14.h6 Sh5 15.b4 Sf4 16.bxc5 Sd3+.

Eine sehr attraktive Verknüpfung klassischer Retroanalyse mit Beweispartien – vielleicht hat jemand von euch Ideen, diese Verbindung nicht nur im Task-Sinne, sondern auch für interessante inhaltliche Darstellungen zu nutzen?!

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