Wenn ihr in den letzten drei Wochen diese Rubrik verfolgt habt, werdet ihr vielleicht erwarten, dass ich euch heute das erstplatzierte Retro des Problemist Turniers 2019-2020 vorstelle: Eine, wie wir drei Richter Hans Gruber, Ulrich Ring und ich uns schnell einig waren, sehr bemerkenswerte orthodoxe Beweispartie aus französischer Werkstatt — aber die hatte ich bereits als Retro der Woche 38/2025 vorgestellt. Darum heute ein ebenfalls hochoriginelles Stück, das wir auf den dritten Platz gesetzt haben.
The Problemist 2020, 3. Preis 2019-2020
Beweispartie in 16 Zügen (15+14)
Bei solch einer recht kurzen Beweispartie erwartet man vielleicht nicht allzu viel spannenden Inhalt — doch lasst euch überraschen! Zunächst einmal zählen wir die sichtbaren Züge: Bei Weiß haben wir 2+2+3+3+3+3=16, alle weißen Züge sind also verbraucht. Bei Schwarz schaut das deutlich anders aus: 2+0+2+1+1+0=6: Zehn Züge sind also noch frei.
Was fehlt an Material im Diagramm? Bei Weiß nur der g-Bauer, der auch zu Hause geschlagen werden musste, da für ihn ja kein Zug mehr übrig ist, bei Schwarz fehlen der g- und der h-Bauer.
Wenn ihr euch nun überlegt, wie das Verschwinden eigentlich nur passiert sein kann, dann habt ihr vielleicht schon eine Thema-Idee?
Weiß kann weder den schwarzen g- noch den h-Bauern direkt geschlagen haben, also gibt es nur eine Möglichkeit: Schwarz spielte hxg2, wandelte auf g1 um, und auch der g-Bauer wandelte auf g1 um.
Nun erscheinen plötzlich zehn schwarze offene Züge gar nicht mehr so viel, im Gegenteil: Das erfordert ja wegen schwarzer Zugnot(!) zwei Schnoebelen-Umwandlungen, wo also der umgewandelte Bauer auf seinem Umwandlungsfeld geschlagen wurde.
Das wollt ihr nun sicherlich selbst herausfinden, was denn auf g1 passiert ist? Ja, das lohnt!
Wir fanden nur vier doppelte Schnoebelen-Umwandlungen auf demselben Feld: alle vier Male zwei identische Umwandlungen; unterschiedliche werden also hier zum ersten Male gezeigt, wenn wir nichts übersehen hatten. Und dann haben wir hier noch einen doppelten Ökonomie-Rekord: Minimale Anzahl an Schlägen und kürzeste thematische Zugfolge, nämlich 15,5. Und das klappt durch den raffinierten Einsatz des weißen Königs — schaut euch die Aufgabe gerade unter diesem Gesichtspunkt noch einmal an!
Die Ökonomierekorde finde ich bemerkenswert. Doppelter Schnoebelen auf demselben Feld mit unterschiedlichen Umwandlungstypen existierte allerdings schon: Michel Caillaud, Nunspeet TT 2002(v): 1.f4 a5 2.f5 a4 3.f6 a3 4.fxe7 Ta4 5.exf8=L Se7 6.e4 Sec6 7.Lb5 Sa5 8.Lc6 dxc6 9.e5 Lg4 10.e6 Lh5 11.exf7+ Kd7 12.Se2 Dxf8 13.Sg3 Dc5 14.f8=T Th4 15.Dg4+ Kd6 16.Ke2 Txf8 17.Td1 Tf1 18.Sh1 Tg1 19.Kf3 Sa6. Das Thema ist nach 16.0 Zügen erfüllt.
Später gab es noch folgende Beweispartie (Jorge Lois & Roberto Osorio, Vlaicu-Crisan-50-JT, 2023-24, 1. e.E.): 1.f4 e5 2.fxe5 La3 3.bxa3 g5 4.Lb2 g4 5.Lc3 g3 6.La5 gxh2 7.c3 hxg1=L 8.Th4 f5 9.Ta4 f4 10.e4 f3 11.Ld3 fxg2 12.Ke2 a6 13.Dxg1 Ta7 14.Dxa7 g1=T 15.Dd4 c5 16.Ke3 cxd4+ 17.cxd4 Db6 18.Sc3 Kd8 19.Txg1 Kc7 20.Txg8 Txg8