Retro der Woche 21/2020

Ende April hatte ich schon angekündigt, dass ich noch näher auf den im Märzheft des Problemist erschienenen Preisbericht zu den Retros der Jahre 2017 und 2018 eingehen werde. Beginnen wir heute mit dem ersten Preis der Abteilung „Beweispartien“.

Nicolas Dupont
The Problemist 2017-2018, 1. Preis
Beweispartie in 25,5 Zügen (15+13)

 

Gelegentlich gibt es ja Vorbehalte gegen Aufgaben mit sichtbaren Umwandlungssteinen. Die kann man mehr oder weniger intensiv bei der Bewertung etwa von Beweispartien einfließen lassen, dann natürlich meist im negativen Sinne („Umwandlungsfiguren sind Konstruktionserleichterungen“).

Bei dieser Aufgabe trifft der Vorwurf sicherlich nicht, denn bei einem Blick aufs Diagramm ahnt man bereits, dass die Umwandlungssteine hier nicht als Konstruktionserleichterung gedacht sind. Sie bilden im Gegenteil den wesentlichen Inhalt des Problems, sind also vollständig thematisch.

Für die vier Umwandlungen benötigt Weiß 20 Züge, ansonsten sind keine weiteren weißen Züge offensichtlich, sodass sechs weiße Züge frei sind.

Betrachten wir zunächst, welche Bauern sich umgewandelt haben können: Offensichtlich sind das [Ba2] auf b8, [Bc2] auf d8, [Bf2] auf e8 sowie [Bg2] auf g8. Damit sind auch die drei fehlenden schwarzen Bauern erklärt; der einzige fehlende weiße Stein ist also [Bh2], der von [Bg7] geschlagen wurde, um dem weißen g-Bauern den Weg freizumachen.

Nun zählen wir die sichtbaren schwarzen Züge: 1+1+4+2+6+11=25 – alle schwarzen Züge sind erklärt. Das zeigt zusätzlich, dass alle drei fehlenden schwarzen Bauern zuhause geschlagen wurden.

Schauen wir noch einmal halbwegs genau aufs Diagramm, so stellen wir fest, dass der schwarze König im Schach durch Sd8 steht. Der kann aber nicht im letzten Zug umgewandelt haben, denn wir wissen, dass die Umwandlung auf d8 durch c6xd7-d8 stattgefunden haben muss. Also muss der Springer mindestens zweimal gezogen haben: Weg von seinem Umwandlungsfeld und dann im letzten Zug schachbietend nach d8.

Dann fallen noch die schwarzen Türme auf b3 und g3 auf: Die müssen ihr Zielfeld ja in jeweils zwei Zügen erreicht haben, und das geht wegen der Bauernstellung nur über b8 und g8 -– wie lassen sich da Kollisionen mit den weißen Umwandlungssteinen vermeiden?

Vielleicht habt ihr ja nun eine Idee dafür, wie dazu Weiß seine insgesamt sechs freien Züge aufwenden musste?

Lösung

Ein sehr originelles Stück, das abseits der üblichen Ceriani-Frolkin- und Phönix-Familien Umwandlungen unübersehbar thematisiert. Und wer hat schon beim Blick aufs Diagramm sofort den eigentlichen Witz dieser Aufgabe gesehen oder zumindest erahnt?

3 thoughts on “Retro der Woche 21/2020

  1. Ein wirklich hochverdienter 1. Preis, der auch dem 10.WCCT sehr gut zu Gesicht gestanden hätte. Die Franzosen hatten sich allerdings anders entschieden. Ich hätte das Stück ziemlich weit vorn platziert, denn die echoartigen Bewegungen und die sonstige weiße Homebase wirken hochelegant auf mich. Und dabei hat Thomas die zu den weißen Platzwechseln passenden schwarzen (Ta8/Sb8 und Th8/Sg8) noch gar nicht erwähnt. Es gibt also 4x Platzwechsel von Turm-Springer-Pärchen – gleichmäßig auf Weiß und Schwarz aufgeteilt. Grandios.
    Ein klein wenig konstruktionserleichternd ist natürlich das Schachgebot, da damit die Zugreihenfolge zusätzlich eingeschränkt wird. Aber man muss c7 und f7 besetzt hatlten, um alternative Springerwege (Sb8-a6-c7-a8 und Sg8-h6-f7-h8) auszuschalten. Aus diesem Grund funktioniert 25.- Kg6 leider nicht.

    • Danke, Silvio, für den Hinweis auf die schwarzen Platzwechsel der gleichen Steinarten: Der war mir beim Schreiben am Freitag irgendwie völlig durchgerutscht; er gibt dem auch so schon sehr guten Problem noch zusätzlichen Pfiff!

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