Retro der Woche 09/2019

Gestern hatte ich bereits eine klassische Retroaufgabe des jungen Gerd Wilts vorgestellt, heute soll noch eine folgen, wieder mit, gerade bei Auflöseaufgaben ungewöhnlich, mehr als einer Lösung.

Diese Aufgabe zeigt eine sehr spezifische Zwillingsbildung, nämlich Spiegelung an der senkrechten Mittelachse des Bretts.

Gerd Wilts
Die Schwalbe 1991, 7. ehr. Erwähnung
#1 (wer?). gespiegelt a1<->h1 (14+13)

 

Nun kann man sich natürlich fragen, inwiefern solch eine Spiegelung das Spiel (vorwärts oder rückwärts) ändern kann? Sie wird gelegentlich bei Circe-Aufgaben genutzt, weil sich damit das Repulsfeld der Damen ändert; Klaus Wenda hat sich damit intensiv beschäftigt.

Aber gleichzeitig, und das ist hier relevant, ändert sich die Partieausgangsstellung der Könige in der Brett-Topologie – und das hat natürlich Auswirkungen auf die Rochade. Aber was hat diese Aufgabe mit der Rochade zu tun?

Dazu überlegen wir, wie wir den Knoten im Nordosten (in der Diagrammstellung; in der b)-Fassung ist dies dann der Nordwesten) des Bretts auflösen können. Das funktioniert nur mit der Rücknahme von g2xXf3, damit dann der schwarze König den Knoten öffnen kann.

Dazu aber muss [Lf1] zunächst nach Hause kommen. Wenn das der wLb1 ist, bedeutet das schon größeren Aufwand bei Weiß, denn um von b1 dorthin zu gelangen, muss Weiß zunächst b2-b3 zurücknehmen. Und das wiederum verlangt, dass [Lc1] schon zu Hause ist. Und da der weiße König nur über den Damenflügel in heimatliche Gefilde gelangen kann, muss er dann schon wieder auf der 1. Reihe eingetroffen sein – ebenso wie [Dd1], bevor b2-b3 und g2xf3 zurückgenommen werden können.

Nun wollen wir uns die Schlagbilanz anschauen: vielleicht können wir ja [Lf1] entschlagen, wLb1 wäre Umwandlungsläufer? Das würde uns das Leben deutlich vereinfachen: Schließlich fehlt bei Weiß [Ba2], der sich umgewandelt haben könnte? Nun, das funktioniert nicht: [Ba2] musste zwar umwandeln, aber in eine Dame, denn wDh8 kommt ja erst aus ihrem Verlies, wenn die Originaldame bereits zu Hause sein muss.

Dieser Beweis lässt sich übrigens auch über die Schlagbilanz führen: Beide fehlenden weißen Steine sind von Bauern geschlagen worden; zwei der drei fehlenden schwarzen Steine sind durch hxg und g2xf3 erklärt, Weiß hat also nur noch einen Bauernschlag frei. [Ba2] müsste für die Umwandlung in einen Läufer aber nach a8 oder c8 gelangen; beides würde zwei Bauernschläge erfordern, die aber stehen nicht zur Verfügung. Der eine Schlag reicht aber für die erforderliche Entwandlung der wDh8 auf b8.

Schwarz kann während der ganzen Rückführ-Aktion von Weiß nur Bauernzüge zurücknehmen, und das wird, wie man erwarten kann, eng. Die generellen Auflöse-Erfordernisse ändern sich durch die Spiegelung natürlich nicht, gelten also für a) und b).

Normalerweise (sieht man von Selbstmatts ab, aber es ist ja hier nach direktem Matt gefragt) setzt in Schachprobleme ja Weiß matt, wenn nicht bewiesen werden kann, dass Schwarz keinen letzten Zug hat.

Schauen wir uns zunächst die gespiegelte Stellung b) an; dort hat Weiß offensichtlich einen Mattzug, nämlich 1. Sb3#. Das setzt aber voraus, dass Schwarz einen letzten Zug hat, also mit der Rücknahme beginnen kann.

Spielen wir dies einmal durch (die Rücknahme der schwarzen Bauernzüge ist prinzipiell, aber nicht in ihrer Reihenfolge eindeutig):

b) 1.Sb3#! R: 1.– d6-d5 2.Kd5-c6 h3-h2 3.Ke4-d5 f4-f3 4.Kf3-e4 f5-f4 5.Kg2-f3 g4xLh3+ 6.Lh2-g1 d4-d3 7.Kg1-g2 d5-d4 8.0-0 e7xDd6 9.Da3-d6 d6-d5 10.Dc1-a3 d7-d6 11.Dd1-c1 f6-f5 12.Lf1-h3 f7-f6 13.g2-g3 g5-g4 14.Ld6-h2 g6-g5 15.La3-d6 h7-h6 16.Lc1-a3 Kb4-a5 17.b2xSc3+ .

Hapu, das hat gerade noch geklappt, bevor Schwarz retropatt gewesen wäre!

Und nun sehen wir auch, weshalb diese Lösung in a) nicht funktioniert: in b) steht wTf1 bereits auf dem richtigen Feld für die Rücknahme der Rochade, in a) muss er dafür einen zusätzlichen Zug (Td1-c1) zurücknehmen – und wir wissen schon, dass dann Schwarz retropatt wäre! Deswegen muss in a) Weiß zuletzt gezogen haben, und Schwarz setzt mit Dxg5 matt.

Den nötigen Turmzug muss Weiß sofort zurücknehmen, damit sein König auf schnellstem Wege heimkommt. Damit haben wir die folgende Lösung in a):

a) 1.– Dg5#! R 1.Td1-c1 e6-e5 2.Ke5-f6 a3-a2 3.Kd4-e5 c4-c3 4.Kc3-d4 c5-c4 5.Kb2-c3 b4xLa3 6.Kc1-b2 e4-e3 7.La2-b1 e5-e4 8.0-0-0 d6xDe5 9.Db2-e5 e7-e6 10.Dc1-b2 d7-d6 11.Dd1-c1 c6-c5 12.Lc1-a3 c7-c6 13.b2-b3 b5-b4 14.Le6-a2 b6-b5 15.Lh3-e6 a7-a6 16.Lf1-h3 Kg4-h5 g2xSf3+.

Interessant, wie die Spiegelung die Zugbilanz ändert!

2 thoughts on “Retro der Woche 09/2019

  1. Das ist wirklich sehr versteckt, auf welche Weise für die Spiegelung das Rochaderecht einen entscheidenden Unterschied macht. Eine tolle Aufgabe! Ich wünsche Dir, Gerd, zum Geburtstag alles Gute, und würde mich freuen, wieder mehr Urdrucke von Dir zu sehen!

Schreibe einen Kommentar zu Henrik Juel Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.