Retro der Woche 19/2018

Heute möchte ich mal wieder einen Verteidigungsrückzüger (VRZ) vorstellen. Diese Untergattung der Retros zeichnet sich ja dadurch aus, dass anders als bei Beweispartien oder klassischen Auflöse-Aufgaben Schwarz und Weiß nicht kooperieren, sondern Schwarz (natürlich im Rahmen der Schachregeln) versucht, das Vorwärtsziel (meist #1 oder s#1) zu verhindern.

Damit finden wir uns hier quasi im „direkten Spiel“ wieder, während die anderen Retro-Gattungen eher unter „Hilfsspiel“ fallen.

Wolfgang Dittmann
feenschach 1979, 1. Preis
#1 vor 7 Zügen, VRZ Proca (5+10)

 

Wolfgang Dittmann fällt das Verdienst zu, den Verteidigungsrückzüger in den 1970er Jahren quasi wiederentdeckt und dann wiederbelebt zu haben, nachdem der recht lange im Dornröschenschaf verharrt war.

Bei der heutigen Aufgabe wird man sich zunächst verwundert die Augen reiben: Welcher weiße Stein soll denn mattsetzen können? Sicherlich keiner, der schon auf dem Brett ist. Also muss Schwarz gezwungen werden, den erforderlichen Stein zu entschlagen.

Welcher könnte das sein?

Wenn wir davon ausgehen, dass es nicht sinnvoll sein kann, den schwarzen König entweichen zu lassen, können nur ein Bauer (von b6) oder ein Springer (von c8) mattsetzen – beide stehen noch nicht zur Verfügung.

Schwierig erscheint es, den Schwarzen zu zwingen, einen Springer (und nicht beispielsweise einen Turm oder Läufer) zu entschlagen: Wenn prinzipiell ein Offizier entschlagen werden kann, ist es schwer sich vorzustellen, wie Schwarz zum aus weißer Sicht „richtigen“ Entschlag gezwungen werden kann – besonders bei dem „bauernfreien“ Nordosten.

Bei einem Bauern-Entschlag muss zusätzlich der weiße König den Mattzug decken, also auf c5 oder a5 stehen (c7 ist für sieben Züge zu weit entfernt).

Damit kann man schon eine erste Idee entwickeln, wenn man sich fragt, wozu beispielsweise sLh8 benötigt werde? Der könnte, zusammen mit sBd3, doch prima den weißen König nach Nordwesten geleiten, indem Weiß dort einen e.p.-Schlag erzwingt: Das Schach gegen einen wKc3 kann Schwarz nur durch e4xd3ep+ zurücknehmen; Weiß muss dann anschließend d2-d4 zurücknehmen und Schwarz das Abzugsschach e5-e4+. Auch der „Temposchöpfer“ im Schlüssel, um dann ungestört nach c3 zu gelangen, ist vielleicht nicht allzu schwer zu sehen: Kd2xLe1 erzwingt e2-e1=L+.

Und wenn der wK auf c3 steht, fällt uns vielleicht auch noch der sLa6 auf, den wir nun für den gleichen „Trick“ wie eben sLh8 nutzen können, und damit haben wir bereits die ersten fünf Züge, und dann schauen wir weiter:

R: 1.Kd2xLe1 e2-e1=L+ 2.Kc3-d2 e4xd3ep+ 3.d2-d4 e5-e4+ 4.Kd3xBc3 b4xc3ep+ 5.c2-c4 b5-b4+

Nun müssen wir “nur noch“ Schwarz zu 6.– c6xBb5 zwingen, während Weiß seinen König wie geplant nach c5 zurückzieht. Und dazu entschlägt Weiß einen Turm:

6.Kc4xTd3! c6xBb5 7.Kc5-c4, & vor 1.b6#..

Aber wieso genau einen Turm? Nun, hier kommt klassische Retroanalyse zum Zug, die ich direkt aus Dittmanns Buch “Der Blick zurück” zitiere:

Eine andere entschlagene Figur (sD, sS) würde ein unpassendes Selbstschach in diesem oder dem nächsten Retrozug ergeben, und der schlaglose Zug 6.Kc4-d3? würde mit 6.– c6:T(L)b5+! beantwortet. Wie aber sieht die Lage nach 6.Kc4:Td3! aus? Der sBb5 darf nun keinen Offizier entschlagen; denn die sBB, einschließlich des sLa6, der durch Umwandlung auf d1 oder f1 entstanden ist, haben achtmal geschlagen, wofür der wBa2 ausfällt. Der wBb2 aber wurde von den sBB als Schlagobjekt gebraucht, konnte sich jedoch weder umwandeln noch selbst schlagen, da die beiden einzigen noch zur Verfügung stehenden schwarzen Schlagobjekte (der sLc8 entfällt ja hierfür) von den wBB auf f3 und g3 benötigt werden. Demnach muss der wBb2 auf der b-Linie entschlagen werden, was im letzten schwarzen Retrozug geschieht– und er ist nun der Mattzugstein.

Eine Aufgabe, die mir sehr gut gefällt gerade wegen der Klarheit der Lösung und der retroanalytischen Pointe im 6. Zug.

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