Retro der Woche 31/2016

Ich finde es immer wieder spannend, mir ältere Preisberichte anzuschauen, um zu sehen, wie sich seit dem Berichtszeitraum die Retroanalyse weiterentwickelt hat. Beim Schwalbe-Preisbericht für den Jahrgang 1996 können wir diese Betrachtung gleich zweimal anstellen, denn Ersatz-Richter Ronald Schäfer, der im letzten Jahr in Aalen die Schwalbetagung ausgerichtet hatte, erstellte den Bericht erst im Jahre 2006 – jeweils zehn Jahre Abstand sind sehr interessant!

Den ersten Preis der damals noch kleinen Beweispartie-Abteilung (nur 10 von 54 Aufgaben!) hatten wir uns bereits als Retro der Woche 3/2015 angeschaut, hier nun die zweitplatzierte Aufgabe.

Chris Patzke
Die Schwalbe 1996, 2. Preis Abt. II
Beweispartie in 16 Zügen, Zeroposition a) sD→f3, b)+wBe3 (13+14)

 

Die „Zeroposition“ ist nicht zum Lösen gedacht, sondern es müssen die jeweiligen Stellungsänderungen vorgenommen werden, bevor dann a) und b) gelöst werden können. Wenn man so will, ist die Zeroposition einfach ein Trick, zwei Stellungsänderungen bei der Zwillings-Angabe zu vermeiden…

Sofort fällt natürlich auf, dass der weiße König in Teil b) im Doppelschach steht – können wir daraus schon Schlüsse ziehen? In Teil a) liegt kein Doppelschach vor, aber auch da kann das Schachgebot nur so erklärt werden, wobei das Startfeld beim Turmschach noch nicht genau gesehen werden kann.

Entweder ist das Doppelschach durch Tc5xXa5++ entstanden (schlagfrei geht nicht wegen des sTa8) oder durch a4xb3.

Zählen wir nun einmal die sichtbaren Züge in der Diagrammstellung: Bei Weiß sind das 3+1+0+2+3+1=10, bei Schwarz 3+1+3+2+2+3=14 – das lässt noch viel offen. Hierbei haben wir schon berücksichtigt, dass Lf8 für Th8 hat Platz machen müssen. In a) kommt ein schwarzer, in b) ein weißer Zug hinzu, aber auch das hilft noch nicht so sehr weiter.

Auf alle Fälle brauchen wir einen zusätzlichen weißen Zug des [Bb2], um geschlagen worden zu sein. Ferner müssen wir bedenken, dass bei der weißen langen Rochade, die wir eben der Zählung zugrunde gelegt haben, die e.p.-Lösung nicht möglich ist, da ansonsten der wK nach der Rochade nicht nach a3 hätte kommen können: Der letzte weiße Zug war bei einer e.p.-Lösung b2-b4. Dann benötigen wie aber für wK und [Ta1] 4+1 statt 3+0 Züge, also zwei Züge mehr.

Im anderen Fall muss aber, wie wir schon gesehen haben, ein weißer Stein auf a5 geschlagen worden sein. Das kann nur [Lc1] sein, denn bei Schwarz fehlen nur die Zentrumsbauern, und die können nicht umgewandelt haben.

Bei Schwarz wird es schon mit den Zügen eng, sodass wir uns auch gründlich überlegen müssen, wie denn die schwarzen Zentrumsbauern verschwunden sein können?

Dabei stellen wir dann fest, dass beide schwarzen Bauern zu Hause geschlagen werden mussten, wodurch jeweils zwei zusätzliche weiße Züge benötigt werden. Und damit kann auch in b) die sD nicht in einem Zug nach d6 gelangt sein, denn dafür müsste wLd7 nach dem Bauernschlag noch einmal weggezogen haben und zurückgekehrt sein.

Außerdem stellen wir fest, dass sTa5 in einer Doppelschach-Lösung nicht in drei Zügen auf sein Diagrammfeld gelangt sein kann: Er muss da auf c5 Zwischenstation gemacht haben. Und dann müssen wir uns ja auch noch überlegen, wie in a) [Be2] verschwunden ist?!

Auch nach diesen Vorüberlegungen ist es noch nicht leicht, die beiden Lösungen zu finden, aber ich glaube, die Mühe lohnt sich!

a) 1.d3 a5 2.Lg5 a4 3.Lxe7 Kxe7 4.Kd2 Kd6 5.Kc3 Se7 6.Kb4 Sec6+ 7.Ka3 Le7 8.Sd2 Te8 9.Sdf3 Lf8 10.Dd2 Txe2 11.Td1 Te5 12.Le2 Tea5 13.Se5 Df6 14.Lg4 Df3 15.Lxd7 Kd5+ 16.b4 axb3ep++.
b) 1.b3 a5 2.La3 a4 3.Lxe7 axb3 4.Lb4 Df6 5.La5 Ke7 6.e3 Kd6 7.Lb5 Se7 8.Lxd7 Sec6 9.d3 Le7 10.Sd2 Te8 11.Sdf3 Lf8 12.Dd2 Te5 13.OOO Tc5 14.Se5 Kd5 15.Kb2 Dd6 16.Ka3 Tcxa5++.

Der Preisrichter schrieb zu diesem Stück: „En passant oder Rochade das ist hier die Frage … Die Bewältigung dieser Idee zeugt von großem konstruktiven Geschick. Sehr angenehm ist der unterschiedliche Lösungsverlauf, der durch die verschiedenen Wege der weißen Läufer aufgewertet wird.“

Ein tolles Beweispartie-Rätsel, wie ich finde!

2 thoughts on “Retro der Woche 31/2016

  1. A very clever problem that I enjoyed very much! I suppose it is difficult to show these two thematic ideas within the same concept. But I should have liked (but perhaps too much to ask for) it in the form of 2 solutions. When the twinning is too heavy (0-position = double twinning) then it is less subtle how the solutions are separated.

  2. Ich habe auch schon mal Informalturniere richten müssen, die schon sehr viele Jahre zurücklagen (entweder weil die Veranstalter nicht rechtzeitig einen Preisrichter gesucht und gefunden hatten, oder weil ein vorgesehener Preisrichter abgesprungen war). Das war immer eine sehr unangenehme Aufgabe: Zum einen ist es sehr viel Arbeit herauszufinden, welche Probleme später gekocht und korrigiert worden waren, und welche Korrekturversionen an späteren Informalturnieren teilgenommen hatten; zum anderen ist es aber auch sehr schwierig zu beurteilen, was z.B. vor 10 Jahren noch als originell gelten durfte. Daraus leiten sich zwei Forderungen ab: Sachbearbeiter, sucht Eure Preisrichter frühzeitig! Und Preisrichter: Nehmt euer übernommenes Amt ernst und schreibt Euren Preisbericht nicht zu spät!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.