Retro der Woche 38/2015

Ganz herzliche Glückwünsche gehen heute nach Österreich, wo Klaus Wenda heute seinen 74. Geburtstag feiert. Heute vor einem Jahr war ich schon kurz auf Klaus’ vielfältige Aktivitäten um das Problemschach eingegangen und hatte dort auch einen der erstern Verteidigungsrückzüger mit der Märchenbedingung Anticirce vorgestellt. Das war 2001, als der Artikel erschien, nicht zu ahnen, welchen Boom Klaus mit dieser Idee auslösen würde.

Aber auch schon vorher hat er sich mit (Märchen-) Retros beschäftigt; seine besondere Vorliebe galt hier der Madrasi-Bedingung (Definition aus dem Schwalbe-Lexikon: „Wird ein Stein (außer König) von einem gleichartigen Stein des Gegners beobachtet, wird er gelähmt und verliert während der Beobachtung jede Zugmöglichkeit und Wirkung außer seinerseits gegnerische gleichartige Steine zu lähmen. Eine Rochade (=Königszug) mit einem gelähmten Turm ist möglich. Ein doppelschrittig ziehender Bauer ist e.p.-schlagbar.“).

Das Stück, das ich heute ausgesucht habe, beschreibt Klaus in dem 2001 erschienenen Buch „Dreiklang“ mit Kompositionen der österreichischen Autoren Johandl, Chlubna und Wenda: „Mein persönlicher Liebling unter allen meinen Retroaufgaben. Der jeweils zweifache e.p.-Entschlag konnte meines Wissens ohne Madrasi-Bedingung noch nicht dargestellt werden.“

Damit ist schon der Inhalt des heutigen Stücks verraten, nicht aber die Lösung.

Klaus Wenda
The Problemist 1986, 1. Preis
S#1 vor 8 Zügen, VRZ Proca, Madrasi (12+4)

 

Weiß und Schwarz nehmen also legale Madrasi-Züge zurück, so dass Weiß vor acht Zügen ein Selbstmatt erzwingen konnte; Schwarz verteidigt sich bei seinen Rücknahmen wenn möglich gegen die Zielerfüllung des Weißen.

Betrachten wir zunächst kurz das Diagramm: sLa1 und wLb2 sind gemäß der Madrasi-Regel gelähmt. Eine Rücknahme etwa Le5-b2 ist nicht möglich: Le5 wäre schon gelähmt gewesen. Allerdings ließe sich etwa Lc1-b2 oder Le5xSb2 Madrasi-konform zurücknehmen.

Wie können wir uns in dieser Aufgabe ein Selbstmatt vorstellen? Mögliche schwarze Mattfiguren sind nicht zu erkennen.

Weiß wird versuchen, weiße Bauern auf e2 und f2 zu bekommen, auf c1 einen schwarzen Turm zu entschlagen, der von Tb1 gelähmt ist, so dass der wK nicht im Schach steht. Kann Weiß dann KxTb1 erzwingen, ist dies Matt, da dann sTc1 „entlähmt“ ist und damit wieder Schach- bzw. Mattwirkung hat.

Aus Klaus’ Beschreibung wissen wir, dass e.p.-Schläge im Spiel eine wesentliche Rolle spielen werden. Wir werden uns genau anschauen, wo und warum sie erforderlich sind.

R 1.g5xf6e.p. f7-f5 2.Df3-a8 g7-g6 3.a5xb6e.p. b7-b5 4.De3xBf3 e4xf3e.p. 5.f2-f4 e5-e4 6.Dc1xBe3 d4xe3e.p. 7.e2-e4 d5-d4 8.De3xTc1 & vor 1.Db3+ Kxb1#

Nach dem dritten schwarzen Zur ist eine Bauernstellung entstanden, mit der klar ist, dass Weiß nicht umgewandelt haben kann: Hätte er umgewandelt, hätte ein weißer Bauer über die sechste Reihe zur achten vordringen müssen, das ist aber nun wegen der schwarzen Bauern unmöglich, der dieser weiße Bauer jeweils auf der sechsten Reihe für immer gelähmt wäre.

Diese Tatsache wird für die nächsten schwarzen Entschläge benötigt: 4.– e4xf3e.p. ist die einzige Möglichkeit, diesen Bauern auf seine Linie zurückzubringen, da er, wie wir gerade gesehen haben, keinen weißen Offizier entschlagen kann, womit eine Umwandlungsfigur auf dem Brett stünde (direkte BxB Züge bzw. Entschläge sind in Madrasi-Aufgaben nicht möglich). Das analoge Argument gilt auch für 6.– d4xe3e.p.

Spannend auch, warum die beiden weien e.p.-Entschläge eindeutig in der Richtung sind: 1.e5xf6e.p.? würde 5.– e5-e4 unmöglich machen, so dass Schwarz retropatt wäre. Aber warum geht 3.c5xb6e.p.? nicht? Aus einem ähnlichen Grund, aber noch viel subtiler, denn dann wäre Schwarz nach 8.De3xTc1 retropatt, da 8.– d6-d5 dann wegen des wBc5 nicht möglich wäre.

Eine nicht allzu schwer nachvollziehbare Aufgabe mit interessentem e.p.-Spiel, die ihren Weg ins FIDE-Album gefunden hatte.

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