Retro der Woche 27/2015

In dieser Woche hatte ich hier im Blog auf das diesjährige WCCC und die dort regelmäßig ausgeschriebenen Turniere hingewiesen.

Eines dieser Turniere mit schon langer Tradition ist das von Michel Caillaud durchgeführte, in dem es keine hochprozentigen, sondern hochwertige Preise, nämlich Champagner, zu gewinnen gibt.

Im letztjährigen Champagne-Turnier war das Thema „Gegenschachs“. Kurz nach dem Turnier gelang es Joaquim Crusats, den bestehenden Rekord an aufeinanderfolgenden Schachgeboten um ein weiteres Schach zu steigern; seine Aufgabe wurde im ersten Heft 2015 (SG69) von StrateGems veröffentlicht.

Joaquim Crusats
StrateGems 2015
Beweispartie in 19,5 Zügen (15+12)

 

Sofort fällt im Diagramm der schwarze Umwandlungsturm ins Auge, der uns gleich beim Finden der Lösung sicherlich helfen wird.

Zunächst aber wollen wir uns wie üblich mit Schlagbilanz und Zügezahlen beschäftigen.

Offensichtlich fehlt bei Weiß nur ein Stein, nämlich ein weißer Bauer. Das kann theoretisch [Ba2], [Bb2] und [Bg2] sein. Aber nun kommt sofort der Umwandlungsturm ins Spiel: Der schwarze Bauer konnte auf dem Weg zur Umwandlung höchstens einen weißen Stein schlagen; also scheidet die Umwandlung auf dem Königsflügel aus, also kommt Bf6 von g2. Demnach muss [Ba7] umgewandelt haben — entweder auf a1 oder auf b1; in diesem Fall hat er auch den [Bb2] geschlagen.

Nun zählen wir die im Diagramm sichtbaren Züge: Bei Weiß sind dies 5+0+5+2+3+4=19 — nur ein weißer Zug ist noch frei. Bei den Springerzügen habe ich sofort berücksichtigt, dass offensichtlich [Sg1] Platz schaffen musste für [Th1] und dann zurückgekehrt ist.

Bei Schwarz ist mehr offen: 3+1+9+0+0+0=13; hier habe ich den Marsch des a-Bauern zur Umwandlung und von dort nach e1 als Turmzüge gewählt. Wegen des nur einen freien weißen Zuges kann Te1 nicht direkt über die erste Reihe gekommen sein.

Sechs Züge bei Schwarz erscheint viel Freiheit zu sein, aber die fehlenden schwarzen Steine müssen sich offensichtlich aktiv geopfert haben, und damit sind fünf dieser sechs freien schwarzen Züge schon verbraucht: Sc6, Bd6, Be5, Le7-f6 — dies ergibt sich aus den Diagrammfeldern der weißen Steine. Gleichzeitig ist damit der letzte freie weiße Zug verbraucht, nämlich durch TxSc6xBd6, so dass nun nur noch ein einziger schwarzer Zug frei ist.

Damit ist auch klar, dass die sT-Umwandlung auf b1 erfolgt ist, dass [Bb2] zu Hause geschlagen worden ist.

Und nun ist es sicher nicht allzu schwer, die Züge genau zusammen zu stellen — vor allen Dingen mit Wissen um das Thema der Aufgabe. Und dann stellt sich heraus, dass der freie schwarze Zug für die kritische Überschreitung von g5 durch die [Dd8] benötigt qird.

1.g4 a5 2.Lh3 a4 3.Kf1 a3 4.Kg2 axb2 5.a4 e5 6.Sa3 b1=T 7.Kf3 Tb3+ 8.Ke4 Tg3 9.Sf3 Tg1 10.Tb1 Te1 11.Tg1 Ke7 12.Tg3 Kf6 13.Sg1 Kg6 14.Kxe5 Dh4 15.g5 Le7 16.Tb6+ Sc6+ 17.Txc6+ d6+ 18.Txd6+ Lf6+ 19.gxf6+ Dg5+ 20.Lf5+.

Nun kann ich mich natürlich nicht vor der Beweispartie-Gretchen-Frage drücken: „Nun sag, wie hast du’s mit dem Umwandlungsstein? Du bist ein herzlich guter Mann, allein ich glaub, du hältst nicht viel davon.“, frei nach Margaretes Frage an Heinrich Faust im ersten Teil der Goethe’schen Tragödie.

Jetzt müsste ich eigentlich frei nach „Radio Eriwan“ (ihr kennt die alten Radio-Eriwan-Witze?) antworten: „Im Prinzip mag ich ihn nicht so sehr.“ Hier aber stört er mich nicht so sehr, da es sich hier eindeutig um ein Task-Problem handelt, bei dem es um eine Rekord-Darstellung geht; da treten ästhetische Aspekte oder die Erleichterung der Lösung nach meiner Einschätzung etwas in den Hintergrund.

Wenn es natürlich ohne diesen offensichtlichen Umwandlungsstein ginge, dann gefiele mir das Stück noch besser …

One thought on “Retro der Woche 27/2015

  1. A most impressive task that fully justifies the promoted black rook.
    It is interesting to follow Joaquim’s career as a rising star in the retro area.

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