Retro der Woche 21/2013

In der Diagrammstellung den Inhalt verbergen ist eine der wesentlichen Künste eines Komponisten von Beweispartien: Auf mich wmachen besonders Beweispartien Eindruck, bei denen man nicht sofort sieht, war der Inhalt ist — und selbst wenn man es ahnt, nicht sofort erkennt, weshalb eigentlich nur dieser Inhalt das Problem ausmachen kann, weshalb nicht irgend eine andere Lösung funktioniert.

Solch ein Stück ist die Aufgabe, die ich als heutiges Retro der Woche herausgesucht habe.

Gianni Donati
3. The Problemist Supplement Thematurnier 2002, 1. Preis
Beweispartie in 20 Zügen (15+13)

Zählen wir die weißen Züge, so kommen wir auf mindestens 19, die prinzipiell klar sind, wenn man berücksichtigt, dass der fehlende [wLf1] auf c6 gestorben ist — und die 19 sind auch nur realistisch, wenn man davon ausgeht, dass [wTa1] in drei Zügen nach f6 oder g6 gelangen konnte.

Bei Schwarz sind nur zwei Züge sichtbar, und es kommt auch theoretisch maximal eine Umwandlung durch Schwarz [sBh7] in Frage, so dass immer noch viele Züge offen bleiben.

Also ein Rundlauf- oder Rückkehr-Thema? Nicht unwahrscheinlich, aber welcher Stein — und warum sollte der so lange laufen?

Nun will ich das Thema des Turniers verraten — und das zeigt, dass wir gar nicht so falsch mit der letzten Überlegung liegen können: Gefordert waren Beweispartien mit mindestens einem Rundlauf, der auf dem Feld der Partieausgangsstellung beginnen musste und auch dort endet; kein anderes Feld darf auf der Tour mehrfach betreten werden.

Am wenigsten eingemauert scheinen auf den ersten Blick die beiden Leichtfiguren auf dem schwarzen Damenflügel, aber woher soll der sSb8 bei seinem möglichen vorletzten Zug gekommen sein? Der weiße König steht dazu ziemlich raffiniert, solch eine Möglichkeit zuzulassen. Der Läufer? Möglich — aber wie kann man sich eine Begründung für ein längeres Manöver vorstellen?

Bleibt also “eigentlich” nur der sSg8 — und dafür spricht für den erfahrenen Löser gerade, dass er so eingemauert erscheint. Nun bleibt primär die Frage, zu welchem Zweck er seine Rundtour gestartet ist, denn schlagen konnte er ja, wie wir schon gesehen haben, nicht.

Bleibt also Schachschutz — für den weißen König?! Das könnte sein, denn die Linie d8-d3 ist ja ziemlich offen. Versuchen wir das einmal auszunutzen:

1.e3 Sf6 2.Lb5 Sd5 3.Lc6 dxc6 4.Ke2 Dd6 5.Kd3 Dg3 6.hxg3, denn schnelles Öffnen des weißen Königsflügels ist erforderlich, um die Zeit zu nutzen, bis sein Damenflügel geöffnet werden kann — durch den [sTh8]. Nun ist nur noch nicht klar, warum der Sd5 nicht einfach zurück nach Hause gehen kann?

6.– h6 7.Txh6 f5 8.Tf6 Th4 9.Se2 Tc4 10.Dh1 Tc3+ 11.bxc3 Das muss nun so schnell erfolgen, da die Steine des Damenflügels ja noch ihre Plätze einnehmen müssen; dem sSd5 ist nun zwischenzeitlich der direkte Rückweg versperrt. Und gleichzeitig darf er nun den weißen Steinen nicht im Weg sein, denn spätestens jetzt ist klar, dass Weiß all seine 20 Züge ohne Zeitverlust spielen muss.

Der Weg des schwarzen Springers zurück ist sehr trickreich; analysiert doch genau, warum keine Abweichungen möglich sind?

11.– Sb6 12.La3 Sc4 13.Ld6 Sa5 14.Sa3 Sb3 15.Tb1 Sd4 16.Tb4 Se6 17.Tg4 Sd8 18.Tgg6 Sf7 19.g4 Sh6 20.Sg3 Sg8.

Mir gefällt sie Aufgabe sehr gut: Der simple “Hinzug” nach d5 steht in schönem Kontrast zum komplizierten, verschlungenen und ziemlich verborgenen Rückweg der Themafigur nach Hause. Analysiert doch einmal, warum dieser Rückweg nicht anders erfolgen kann. Und Preisrichter Thierry Le Gleuher schrieb: “A lovely problem in which the thematic motivation is not immediately obvious.”

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