Retro der Woche 3/2013

Offensichtliche Umwandlungsfiguren im Diagramm sind schlecht, weil sie allzu viel über die Lösung verraten! — so oder ähnlich liest, hört man es gelegentlich nicht nur über orthodoxe Mattaufgaben, sondern auch über Beweispartien.

Völlig falsch ist der Hinweis ja nicht, nur darf man ihn, wie andere “Faustregeln” auch, nicht zu dogmatisch sehen. Und wenn der Umwandlungsstein thematisch ist, schaut die Welt schon wieder ganz anders aus.

Dazu möchte ich heute eine Aufgabe vorstellen, die nun schon zehn Jahre alt, aber von der Idee her immer noch frisch ist, die mich immer wieder begeistert.

Michel Caillaud
StateGems 2003, Gianni Donati gewidmet, 4. Preis
Beweispartie in 22,5 Zügen (16+14)

Der weiße Umwandlungsturm ist ja nicht zu übersehen, und die Vermutung, dass es sich um den Stein auf h8 handelt, ist ja zunächst einmal naheliegend.

Was verrät er über die Stellung? Zunächst einmal kann man die Schläge der fehlenden schwarzen Steine bestimmen. Da Weiß noch über den kompletten Figurensatz verfügt, muss der umgewandelte weiße Bauer von der g-Linie kommen und auf seinem Weg des schwarzen h-Bauern geschlagen haben, und somit bleibt auf f3 nur e2xSf3.

Berücksichtigt man dies und bemerkt man, dass der sK (nindestens zwei Mal) gezogen haben muss, um sDd8 und sTa8 durchzulassen, so kommt man beim Abzählen der schwarzen Züge auf 20, denn die sD benötigt mindestens drei Züge nach h4, wobei sie ja die Türme umgehen muss.

Und irgendwie muss ja auch der sTh8 an dem umgewandelten weißen g-Bauern bzw. dem neuen Turm vorbei gekommen sein. Das führt vielleicht bereits zu einer Idee, was Michel darstellen wollte?

Jedenfalls erweist sich nach diesen Überlegungen der weiße Umwandlungsturm als ziemlich störend für die erforderlichen schwarzen Manöver — er muss Platz machen, um die schwarzen Steine auf die h-Linie zu lassen. Dazu muss er einerseits die h-Linie räumen, andererseits stört er auch auf der achten Reihe. Also Rundlauf? Schließlich haben wir ja schon festgestellt, dass die Umwandlung auf h8 erfolgen musste.

Und genau so kommt es — nur, dass sich Michel nicht mit einem (schlagfreien) Rundlauf  begnügt hat, sondern das Thema sofort doppelt dargestellt hat.

1.g4 f5 2.g5 Sf6 3.g6 Tg8 4.gxh7 g6 5.h8=T Lh6 6.Th7 Le3 7.Tg7 Lc5 8.d4 Th8 9.Tg8+ Kf7 10.Kd2 Df8 11.Kc3 Dh6 12.Kb3 Dh4 13.Lh6 Sc6 14.Lg7 Th5 15.Th8 Se5 16.Th7 Sf3 17.exf3 b6 18.Se2 Lb7 19.Sc1 Th8 20.Lf8+ Ke8 21.Tg7 T8h6 22.Tg8 Sh7 23.Th8

Sehr passend finde ich auch, wie Schwarz die beiden in unserer Zählung übrig gebliebenen Züge “verliert”: durch ein notwendiges Tempomanöver des sTh8 — passender geht es sicherlich überhaupt nicht!

Und nun noch einmal die Frage an euch: Stört hier der Umwandlungsturm? Mich natürlich überhaupt nicht: Tthematischer kann man ihn ja kaum einsetzen, finde ich.

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