Retro der Woche 2/2013

Am Silvestertag hatte ich hier den provisorischen Preisbericht des Osorio55 Thematurniers eingestellt; auf dieses Turnier möchte ich noch einmal eingehen, und zwar aus einem ganz besonderen Grund — ich möchte euch nämlich anregen, hieran eure eigenen Bewertungskriterien für Beweispartien zu üben und vielleicht zu verfeinern!

Das bietet sich hier an, da der Richter schon die Aufgaben und ihre (=seine!) Reihung publiziert, aber sie noch nicht kommentiert und begründet hat. Was liegt also näher, als sich selbst auf die Aufgaben zu stürzen, sie für sich selbst zu bewerten, zu überlegen, ob und warum man zur gleichen Reihung wie der Preisrichter gekommen wäre — oder ob und warum man eine andere Reihenfolge festgelegt hätte. Wichtiger als die Frage nach dem “ob” erscheint mir die nach dem “warum”.

Spannend ist dann sicherlich der Vergleich der eigenen Argumente für oder gegen die Reihung des Preisrichters mit dessen Ausführungen im noch erscheinenden ausführlichen Bericht — macht euch vielleicht also ein paar Notizen für diesen späteren Vergleich.

Das könnte sicherlich ein sehr interessanter und lehrreicher Abend etwa mit den Preisträgern werden. Oder pickt euch nur die Lobe, nur die ehrenden Erwähnungen heraus oder die letzten Preise und ersten ehrenden Erwähnungen (ich persönlich empfinde beispielsweise häufig die Entscheidung schwer: “Noch ehrende Erwähnung oder doch besser Lob?”).

Vorstellen, quasi zum Appetit anregen, möchte ich hier den ersten Preis dieses Turniers:

Eric
Pichouron & Michel Caillaud

Osorio 55 Turnier 2012, 1.Preis
Beweispartie
in 18 Zügen (13+14) C+

Vielleicht wollt ihr vor dem Weiterlesen selbst Löseversuche starten, die Stellung zumindest gründlich analysieren?

Bemerkenswert elegant erscheint mir schon beim ersten Hinschauen die Konstruktion: Es fehlen immerhin fünf Steine, und das Schlagfeld (nicht einmal die Reihe!) eines einzigen geschlagenen Steins wird durch irgendwelche Doppelbauern verraten.

Das macht das Lösen sicherlich nicht einfacher, also muss man nach anderen Lösungsindikatoren Ausschau halten, und ein wichtiger Indikator sind häufig die direkt sichtbaren Einzelzüge zumindest einer Partei.

Und da stellt man fest, dass Schwarz genau 18 sichtbare Züge benötigt, um die Diagrammstellung erreichen zu können: 2+2+2+4+6+2 für K,D,T,L,S,B; dabei kommt der sSa8 von b8 und sSh4 von g8 (anders herum würde es acht Züge erfordern, die uns aber nicht zur Verfügung stehen). Die schwarzen Bauern haben also Doppelschritte ausgeführt, somit kann sBd5 nicht von e7 kommen und z.B. wBd2 geschlagen haben.

Das führt nun zu der Schlussfolgerung, dass die fehlenden schwarzen Steine “zu Hause” geschlagen wurden (sie hatten keine Zeit zu ziehen) und alle fehlenden weißen Steine direkt auf dem Weg des jeweiligen schwarzen “Schlägers”.

Nach genauerer Analyse kommt man dann vielleicht auf den Gedanken, dass sich die fehlenden weißen Bauern d2 und e2 nach Schlägen auf e7 und f7 umgewandelt haben — und irgendwie muss dann auch ein weißer Turm verschwinden. Ist unsere These richtig, bleiben hierfür nur zwei T-Züge, wie nun das Zählen der weißen Züge ergibt: sechs im Diagramm sichtbare plus 5+5 Bauernzüge, also verbleiben nur zwei Züge, den wT verschwinden zu lassen.

Da die umgewandelten Bauern nach unserer Hypothese nicht mehr haben ziehen können, tippen wir also auf die doppelt gesetzte Darstellung des Schnoebelen-Themas (eine Umwandlungsfigur wird ohne gezogen zu haben geschlagen); spannend ist hier immer die Begründung für die eindeutige Umwandlung.

Hier nun die Lösung, bei der ich die für das Turnier thematischen Züge fett gesetzt habe:

1.d4 Sh6 2.d5 Sf5 3.d6 Sh4 4.dxe7 d5 5.e4 Lg4 6.e5 Sd7 7.e6 Sb6 8.exf7+ Kd7 9.e8=T Ld6 10.f8=T Lf4 11.Lb5+ Kd6 12.Dd3 Ld1 13.Sf3 a5 14.O-O Dxe8 15.Te1 Dg6 16.Tee8 Txe8 17.Le3 Sa8 18.La7 Thxf8.

Eine wie ich finde großartige, elegante Aufgabe!

Und bemerkenswert erscheint mir, dass der Preisrichter nicht einfach, wie man es bei Thematurnieren gelegentlich (aus meiner Sicht: leider!) sieht, nur die thematischen Züge gezählt hat, um die Auszeichnungen festzulegen: Hier haben wir schließlich nur zwei, aber nicht immer liefern mehr Themazüge auch bessere Aufgaben …

 

One thought on “Retro der Woche 2/2013

  1. Als ästhetisch erlebe ich hier vor allem das Geschehen auf den Feldern e8 und f8, bei dem weitgehend Türme beteiligt sind: Zuerst finden sich auf e/f8 zwei weiße Umwandlungstürme ein, zum Schluss treten die schwarzen (originalen) Türme an ihre Stelle. Als Supplement wird der wUmw.turm e8 vor der Ankunft des sT noch durch einen w Originalturm ersetzt!

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