(Reto Aschwanden, 24.10.2025)
6631v Die Schwalbe VI/1989 — Preis
Beweispartie in 57,5 Zügen (14+14) Co+
Dies war seit den Anfangszeiten von Stelvio immer ein unerreichbar scheinendes Ziel. Als Stelvio mit v1.0 noch ganz neu war, habe ich allerlei noch ungetestete Aufgaben eingegeben und geschaut, was dabei herauskommt. Bei der 57.5 blieb Stelvio einfach hängen: Out-of-Memory bereits in der ersten Lösungs-Phase, der initialen Analyse. Dies lag an einem Design-Entscheid, der häufig gut ist, aber im Randfall von acht Türmen pro Seite maximal verschwenderisch daherkommt: Stelvio rechnet sich initial alle Permutationen aus, wie die Türme entstanden sein könnten (= welcher Bauer wandelt wo um und steht schliesslich auf welchem Feld, und wo befinden sich die Originaltürme).
All diese Permutationen muss Stelvio dann für die zweite Lösungs-Phase (der Strategie-Suche) im RAM halten, was bei dem noch nicht optimierten Code in der Ecke dann schon mal ein paar hundert Gigabyte Platz benötigte – Game over.
Dann kam v1.3 und Stelvio konnte grundsätzlich parallel rechnen. Mit Supercomputer-Hardware hätte man Stelvio damit auf die 57.5 ansetzen können – doch es hätte nichts gebracht. Es wäre zwar nicht zum Out-of-Memory gekommen, aber mangels ausgefeilter Analyselogik hätte Stelvio mit der Zeit hunderte Millionen, wenn nicht Milliarden an Strategien gefunden. Diverse dieser Strategien wären auch für Supercomputer nicht in vernünftiger Zeit spielbar gewesen: Manche Strategien hätten einen freien weissen Zug gehabt, ein Todesurteil bei Baumtiefe > 100, und dies aus zwei Gründen: Einige Zügebaum-einschränkenden Analysen funktionieren nur, wenn es keine freien Züge gibt. Zudem ist ein freier Zug ein Freiheitsgrad, der den Zügebaum bei dieser Baumtiefe exorbitant aufbläst. Mittlerweile bin ich überzeugt, dass die Hardware der ganzen Welt nicht ausreichen würde, die 57.5 mit v1.3 zu testen, zumindest dann nicht, wenn man nicht warten will, bis die Sonne zum Roten Riesen wird.
Mit den weiteren Versionen kamen nach und nach Verbesserungen, hier ein paar Highlights:
- Der Umgang mit den Turm-Permutationen aus Phasen 1 und 2 wurde massiv verbessert.
- Die rudimentäre Strategie-Analyse aus den Anfangszeiten wurde immer mehr verfeinert. Unter anderem kam die Schachschutz-Logik hinzu, die bei diesem Problem ungemein wichtig ist.
- Die Kollisions-Logik wurde immer ausgefeilter.
Mit v2.69 war schliesslich die 52zügige P0002278 testbar und ich dachte, mit etwas Glück ist die 57.5 nicht mehr weit – aber weit gefehlt. Man konnte mit v2.69 zwar die ersten etwa 51 Züge davon überprüfen, aber dann war Ende Gelände.
Probleemblad 1989 — spezielle Erwähnung
Beweispartie in 52 Zügen (14+14) Co+
Irgendwann ab v3.0 habe ich mich gefragt, was ich noch einbauen könnte, um schliesslich ans Ziel zu gelangen. Dazu habe ich einige Strategien der 57.5 analysiert, bei denen Stelvio auf Granit biss. Daraus entstand eine der wichtigsten Neuerungen von v4.0, das spekulative Splitting von Strategien während der Analyse. Schauen wir uns an einem Beispiel an, wie dies in etwa funktioniert.
Nehmen wir eine Strategie mit einem freien weissen Zug und u.a. folgenden Pfaden:
wKe1-f1< (1)
sBc7x[wBd2]d2-d1=T-e2< (7)
sBd7-d1=T-h5< (7)
sBe7-e1=T-e6< (6)
Als erstes erkennt Stelvio, dass wegen des [sBe7]-Pfades wKe1-f2-f1 geschehen muss. Damit ist der freie Zug dahin. Nun versucht Stelvio, die Strategie so gut wie möglich einzugrenzen. Bei sBc7x[wBd2]d2-d1=T-e2< stellt sich die Frage, ob man den Weg nach der Umwandlung noch genauer angeben kann. Bei der Analyse spekuliert nun Stelvio und nimmt je d1-d2-e2 und d1-e1-e2 separat an, in der Hoffnung, eine oder gar beide Varianten verwerfen zu können. Nehmen wir sBc7x[wBd2]d2-d1=T-d2-e2< an. Spätestens direkt nachdem der UW-T von d2 nach e2 spielt, muss der wK nach f1 spielen, da f2 ab dem Moment permanent angegriffen ist. Erst im Anschluss kann aber der [sBd7] auf d1 in einen Turm umwandeln. Dieser Turm gibt nun dem wK auf f1 unweigerlich Schach. Die Schachschutz-Logik erkennt dies und errechnet, dass es mangels freier Züge keine Möglichkeit gibt, dieses Schach zu parieren. Damit entfällt die Variante sBc7x[wBd2]d2-d1=T-d2-e2< und es bleibt nur noch sBc7x[wBd2]d2-d1=T-e1-e2<. Mit der nun genauer definierten Strategie lassen sich evtl. weitere Schlüsse ziehen (der Experte erahnt die Rekursion, die hier zum Tragen kommt). Insbesondere wird analog im Anschluss versucht, sBd7-d1=T-h5< weiter einzugrenzen (spielt der UW-T über h1 oder d5?).
Im Juli 2025 waren schliesslich die ersten 56 Zügen der 57.5 in nur 2 Tagen testbar und ich machte mir Hoffnung, dass nun die volle Aufgabe gleich um die Ecke sei. Natürlich lag ich falsch. Der Zug 57. Tbc4 eröffnet viele neue Varianten, wie die Türme an ihre Positionen gelangt sein könnten. Und meine initiale Meinung, dass ein zusätzlicher Springerzug (57…. Sb6) wohl nicht allzu problematisch sein wird, war auch falsch: Der eine Effekt ist einfach zu sehen: Es ist nun nicht mehr offensichtlich, welcher sS welcher ist. Der zweite Effekt ist weniger offensichtlich: Es gibt a priori wenig Erkenntnisse, wann die Springer-Züge in den Lösungsverlauf eingestreut werden müssen. Warum nicht gleich mit Springerzügen beginnen? Mehr Springerzüge bedeutet also mehr Freiheitsgrade und damit vergrösserter Zügebaum.
In den Sommermonaten und Anfang Herbst 2025 versuchte ich durch Aufteilung des Lösungsvorganges, die 57.5 zu knacken (Stelvio erkennt, dass der letzte Zug nur 58. Dc7-b8+ sein kann, man kann sich deshalb auf die ersten 57 Züge beschränken). Um alle Strategien zu finden, war der Server im Dauerbetrieb, was meinen Keller leider etwas aufgewärmt hat (nicht gut für das Weinregal in der Nähe — siehe Fotos!). Schliesslich waren alle denkbaren Strategien nach etwa 6 Wochen gefunden – ein erster Meilenstein. Es waren nur noch etwa 25.000 an der Zahl, gespeichert in Dateien à je 100 Stück. Kaum waren Strategien verfügbar, habe ich versucht, diese mit meinem ZBook anzugehen. So wurden die Strategie-Dateien nach und nach abgearbeitet. Rückschläge gab es auch genug: Allseits beliebt waren z.B. die willkürlichen nächtlichen Neustarts von Windows (nachdem Stelvio schon >100h gerechnet hatte). Und gewisse Strategien schienen immer noch nicht spielbar zu sein mit meiner Hardware. Ich war zwar überzeugt, dass mit Datacenter-Hardware alles in Butter wäre, doch wollte ich mit meinen Ressourcen durchkommen. So musste ich für gewisse unspielbaren Strategien noch zusätzliche Analyse-Logik finden – zu meiner Überraschung war dies immer möglich. Mitte Oktober 2025 war es schliesslich vollbracht – die Lösung war gefunden und alle Strategien geprüft. Insgesamt hat die Prüfung gut 80 Tage gedauert bei etwa 50.000 CPU-Stunden. Ich war sehr zufrieden: Ein Meilenstein, was die Prüfung von Beweispartien angeht.
Addendum:
- Je länger ich mich mit der 57.5 befasst habe, desto mehr stieg die Bewunderung für dieses monumentale Meisterwerk. Kaum eine andere Aufgabe in der Geschichte des Kunstschachs hätte die 12 Punkte im FIDE Album mehr verdient als diese. Und doch blieb ihr diese Ehre wegen eines krassen Fehlentscheids verwehrt (der eine Richter fand 2,5 Punkte reichen vollkommen – was in aller Welt hätte man hier den besser machen können?!?)
- Mittlerweile gibt es eine noch längere Version dieses Schemas, nämlich die P1419840. Des Rekordes wegen hat diese Version natürlich ihre Berechtigung, allerdings war und ist für mich die 57.5 immer noch die Hauptaufgabe auf dem Gebiet, v.a. wegen den einheitlichen T- Umwandlungen, Bislang habe ich nicht ernsthaft probiert, diese neuere Aufgabe zu testen – werde ich bei Gelegenheit aber probieren.
- Bei der Prüfung war wegen der Aufteilung des Lösungsvorganges viel manuelles Handling im Spiel: Strategie-Dateien herumkopieren, Protokoll führen, was bereits geprüft ist usw. Es ist nicht auszuschliessen, dass mir dabei ein Fehler unterlaufen ist. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass ich dabei genau einen Cook verpasst habe, scheint sehr klein zu sein. Bei Gelegenheit sollte man den Prüfvorgang wiederholen mit einer noch schnelleren zukünftigen Version von Stelvio.
- Die Prüfung der 57,5 gehört für mich zu meinen besten intellektuellen Leistungen – richtig einschätzen kann das natürlich leider nur ich… Anhand des Zeitaufwandes für Stelvio (mittlerweile sicher grösser als 2.000h), lässt sich aber erahnen, was dahintersteckt. Trivial fühlt sich anders an.

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Fotos: Reto Aschwanden